Eine Innenstadt als Begegnungsraum

Immer mehr Händler verlassen freiwillig oder unfreiwillig die City. Unter anderem durch ein verändertes Kaufverhalten kommen immer weniger Menschen in die Innenstadt. Die Krise der „Herzkammer der Stadt“ beschäftigt Politiker*innen, Händler*innen, Kulturschaffende und Bremer*innen gleichermaßen. Das hat auch das große Interesse an der zweiten digitalen Podiumsdiskussion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bremen zur Transformation der City gezeigt.

Das Diskussionsformat, dessen Auslöser ein offener Brief des Aktionsbündnisses Innenstadt und im Gegenzug ein Positionspapier der GRÜNEN-Bürgerschaftsfraktion war, stellt dabei ein Gesprächsangebot an alle Protagonisten der Innenstadt dar. Man sei an einem Punkt, wo zwei Papiere mit Ideen und Vorschlägen formuliert wurden, nun müsse man aktiv werden, betont Robert Bücking, baupolitischer Sprecher auf der Podiumsdiskussion „Aufbruch Innenstadt! Brutstätten und Labore – Macher*innen und Moneten“.

Podiumsteilnehmerin Eva Herr lebte fünf Jahre in London, bevor sie an die Weser zog – quasi ein Umzug von der Metropole ins beschauliche Bremen. „Wir sollten nicht immer gucken, was man besser machen kann, sondern auch, was es für unglaubliche Qualitäten damals und heute gab und gibt. Stadtplanung funktioniert nur, wenn man auch die Qualitäten im Blick hat und weiterentwickelt“, sagt die Leiterin des Stadtplanungsamtes Köln, die auch im Bremer Bauressort tätig war.

Wie wird es nach Corona weitergehen und verfallen wir womöglich in alte Muster? Das sei eine Frage, über die in vielen Städten nachgedacht werde. Corona habe einen Veränderungsprozess angestoßen, der vorher schon da war. „Die Entwicklung wird nur verstärkt und beschleunigt, aber sicherlich dadurch auch anspruchsvoller“, sagt Herr. Klar ist, dass man sich den zentralen Fragen hätte ohnehin stellen müssen, dazu zählen u.a. Verkehr, Einzelhandel und Immobilien.

Zentrale Fragen der Innenstadt-Entwicklung drehen sich um Verkehr, Einzelhandel und Immobilien

Wie viel Verkehr muss sein, um Handel erfolgreich und Konkurrenz-fähig zu machen? Auch diese Frage beschäftigen die Menschen in Köln. Richtig autofrei bekäme man eine Innenstadt nicht so leicht, aber wie könne man den Individualverkehr zurückfahren? Fragen über Fragen.

Köln wurde über die vergangenen Jahre radikal und spürbar umgebaut, berichtet Herr, und zwar in einer Weise, die zuvor nicht für möglich gehalten wurde. „Da wir nicht viel Geld haben, können wir die Infrastruktur, die Straßen nicht richtig umbauen“, so Herr. Stattdessen bediene man sich quasi einer Pinselsanierung. Einige Autospuren sehen noch aus wie Autospuren, würden aber dem Radverkehr zugeordnet und plötzlich sei die Mobilität in der Innenstadt eine andere. Natürlich werde regelmäßig die Leistungsfähigkeit des Verkehrs gemessen. Ergebnis: Der Ausbau könne aufgrund der Analysen sogar noch verstärkt werden.

Eva Herr nennt ein weiteres Beispiel: Köln sei nach dem Zweiten Weltkrieg verkehrsgerecht (damals autogerecht) umgebaut worden. Der Kölner Dom – das Wahrzeichen der Stadt und UNESCO-Weltkulturerbe – habe eine eigene Tiefgarage. Sechs Millionen Besucher kämen jährlich vor allem in die Innenstadt, um den Dom zu besichtigen. Doch selbst die eigene Tiefgarage könne die Besucherströme nicht abfangen. Daher waren neue Ideen gefragt und dazu gehöre es auch mutig zu sein. Zeitweise wurde die Tiefgarage gesperrt, die Besucher kamen trotzdem. Das fahren mit dem Auto bis direkt zum Dom war also nicht der Grund, warum die Besucher*innenschar so groß ist.

Vielfalt ein wichtiger Ansatz für Transformation der Innenstädte

Die Krise sei nun eine „unglaubliche Chance“, den schwierigen Zustand in den Einkaufsstraßen zu verändern. Mietenpreise müssten nachgeben, dann wäre auch eine vielfältige Nutzung möglich. Frequenzbringer bleibe der Kölner Dom. Auch Zwischennutzungen, z.B. mit Festivals, die nichts mit dem Einzelhandel zu tun haben, seien Publikumsmagneten. „Ein buntes Angebot spielt eine wichtige Rolle“, so Herr, „Die Vielfalt ist ein wichtiger Ansatz, den man ausbauen kann.“

Große Immobilien könnten nicht so wie zuvor wieder vermietet werden, ist sich Wilken Herzberg sicher. Der Gesellschafter von Justus Wohltmann OHG könne sich vorstellen, dass man zum Beispiel neue Passagen schafft. „Wir brauchen interessante Nutzungen, die in die Innenstadt ziehen“, so Herzberg.

André Fuchs berichtet, dass der Erfolg der Markthalle 8, vor allem auch durch eine heterogene Nutzung zustande käme. Die Markthalle 8 stelle nämlich nur eine kleine Nutzung in der gesamten Immobilie dar. Darüber befinden sich u.a. Büros. Hinzu kämen neue Wegebeziehungen durch eine Passage. Welchen „Masterplan“ sich der geschäftsführende Gesellschafter der STEFESpro GmbH von der Politik wünschen würde, fragt Moderatorin Anna Kreuzer. Eine langfristige Planung, die berücksichtig, wo die Bremer Innenstadt in 20, 30 oder 40 Jahren stehen könnte. Bereits vor mehreren Jahren titelte der WESER-KURIER „Durchbruch für die Innenstadt“ und der Domshof wurde zur Chefsache erklärt, doch was ist daraus geworden, kritisiert Fuchs. Die Politik solle die Rolle eines Wegbereiters einnehmen und weniger als Projektentwickler fungieren.

Die langfristigen Planungen sollten dann auch unkonventionelle Ziele ins Auge fassen und Überlegungen zulassen, ob die Straßenbahn in 30 Jahren nicht auch woanders lang führen könnte. „Man stelle sich vor, die Straßenbahn fährt nicht mehr durch die Obernstraße. Man kann diesen Platz nutzen“, ergänzt Wilken Herzberg.

Yanna und Imke Hanscomb geben Einblick in ihre Erfahrungen als Händlerinnen mitten in der Innenstadt. Wenig überraschend erzählen sie von zu hohen Mieten und das auch für sie der Onlinehandel gut funktioniere. Gerade als junges Start-up bräuchte man irgendwann mehr Platz, um zu wachsen und dann werde es automatisch zu teuer. Ihren Start in der Bischofsnadel wollen die beiden Inhaberinnen von Tizz & Tonic dennoch nicht missen: „Es war eine coole Erfahrung, auch sich den Laden mit anderen Marken zu teilen.“

Robert Bücking ist überzeugt davon, dass die privilegierte Lage in der Innenstadt gerade jungen Unternehmen helfen könne. Umso schwieriger sei es, wenn diese durch zu hohe Mieten keine reelle Chance erhalten würden. Das bestätigt auch Wilken Herzberg: Die Leute kämen auch zum Gucken. Daher müssten auch Start-ups eine Chance bekommen, die Interessenten und Besucher in die Innenstadt zu bekommen.

„Innenstädte können was ab“

So oder so müsse man herausfinden, was die Gebäude noch alles können. Eine homogene Nutzung sei sicherlich nicht das richtige. Stattdessen müssten die Strukturen aufgebrochen werden und man müsste neue Herausforderungen annehmen. Manchmal benötige es wie bei der Markthalle 8 auch einen langen Atem, so Bücking. „Innenstädte können was ab. Wir können denen was zumuten. Aber was und was stärkt sie und was ist Quatsch“, so der Bürgerschaftsabgeordnete.

Ein Zuhörer der Podiumsdiskussion ist überzeugt, „dass der Staat bzw. die Kommune dauerhaft Räume zum Ausprobieren bereitstellen muss – nicht nur in der Krise.“

Auch Wohnen müsste gefördert werden, sind sich die Podiumsteilnehmer einig. Doch mit der Veränderung und Belebung kämen auch neue Probleme. Die Politik sei gefordert, heißt es aus dem Podium weiter. Emissionsgrenzen sollten festgelegt werden und Bebauungspläne entsprechend angepasst werden, sodass Investoren rechtssichere Pläne umsetzen können.

„Den Menschen muss man was zumuten“, wirft Florian Kommer ein. Eine Innenstadt sei in der Regel ein lauter, lebendiger und urbaner Ort. Das müsse auch klar sein. „Die Diskrepanz zwischen lebendigem Ort und ruhebedürftiger Anwohnerschaft muss man aufbrechen“, so der Schatzmeister der Bremer GRÜNEN.

Wilken Herzberg ergänzt, dass man aus den Gebäuden viel rausholen könnte. Dabei müsse man aber mutig und aktiv werden. Nur dann könne man etwas bewegen. Und dann könne es auch sein, dass nicht alles sofort barrierefrei wäre.

Ein Zuhörer wirft den Gedanken auf, dass es Probleme durch einen starren Masterplan geben könnte in einer schnelllebigen Zeit, wo manche langwierigen Projekte auch wieder überholt sein könnten. In ein paar Jahren könne man wieder vor neuen Problemen stehen, wenn man nicht flexibel bliebe. Vielleicht sollte nicht von oben herab regiert und geplant werden, sondern mit Bürgerbeteiligungsverfahren, so ein Zuhörer. André Fuchs findet den Ansatz interessant, denkt aber auch das ein gewisser Rahmen und Visionäre in verantwortungsvollen Positionen gesetzt sein sollten.

Auch in der zweiten Podiumsdiskussion wird wieder deutlich, um die Innenstadt zu retten, bedarf es einem langen Atem, Mut und das man einfach mal macht. „Die Stadt verdient an der Innenstadt und daher muss auch in das Herz dieser Stadt investiert werden“, wünscht sich Herzberg. Shoppen alleine zieht keine Menschen mehr in die Innenstadt. Dafür muss das Einkaufen deutlich mehr Erlebnischarakter bekommen über Kunst, Kultur, also Aufenthaltsqualität durch kleine Oasen. Menschen müssen Lust bekommen, in die Stadt zu gehen, weil man dort Menschen trifft – eine Innenstadt als Begegnungsraum.

„Wir haben nicht nur eine Krise, sondern auch viele Gelegenheiten.“

„Die Innenstadt hat für uns eine besondere Bedeutung. Wir wollen aus der Innenstadt eine Initialzündung und den Propeller der Verkehrsänderung machen“, sagte Florian Pfeffer, Vorstandssprecher von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bremen, bereits bei der ersten Podiumsdiskussion zum Wandel der Bremer Innenstadt. „Die Innenstadt ist die Herzkammer der Stadt. An ihr kann man sehen, wie es einer Stadt geht.“