Ich meine, dass wir die direkte Entscheidungsmöglichkeit für Mitglieder der Bremer Grünen nicht beschneiden sollten.
Die jüngste Landesmitgliederversammlung war nicht beschlussfähig, weil weniger als 10 Prozent aller Mitglieder anwesend waren. Dorothea Staiger nimmt dies in ihrem jüngsten Beitrag zum Anlass für die Forderung, bereits ab nächstem Jahr eine Landesdelegiertenkonferenz einzuführen. Das bedeutet im Klartext: Mitglieder der Bremer Grünen können nicht mehr über den politischen Kurs der Partei selbst mitentscheiden, direkte Basisdemokratie wird durch ein repräsentatives Modell von Delegierten ersetzt. Dieser Vorstoß, der die Axt an einen der grünen Grundsätze legt, ist meines Erachtens verfrüht, kann die Attraktivität einer Mitmachpartei schwächen und ist auch in der Außenwirkung problematisch.
Befürworter*innen des Delegiertenprinzips führen zwei Kern-Argumente ins Feld: 1. Die Bremer Grünen sind erfreulicherweise deutlich gewachsen. Weil aber viele Passivmitglieder darunter sind, kommt das derzeit erforderliche Quorum von zehn Prozent für Beschlüsse bei der Landesmitgliederversammlung (LMV) nicht zustande. 2. Diese Beschlussunfähigkeit, die nachträglich durch den Landesvorstand geheilt werden muss, kann auf Dauer zu negativer Medienberichterstattung führen.
Beide Argumente treffen zu, nicht aber der daraus gezogene Schluss. Denn es gibt im Gegensatz zur Einführung einer Delegiertenkonferenz selbstverständlich noch andere Möglichkeiten, die Legitimität von LMV-Beschlüssen wiederherzustellen. Zum einen könnte man das Quorum auf fünf Prozent senken. So macht es der Grünen-Stadtverband Hannover – ähnlich große Stadt, rund 1500 Mitglieder. Zum anderen wäre selbst das einfache Mehrheitsprinzip der anwesenden LMV-Mitglieder denkbar. Schließlich haben im Vorfeld einer LMV alle Mitglieder die Möglichkeit, sich eine Meinung zu den Anträgen zu bilden, zur LMV zu kommen und das eigene Entscheidungsrecht in Anspruch zu nehmen. Oder es eben auch bleiben zu lassen.
Die Sorge vor negativer Berichterstattung wäre da nicht anders als bei der vollständigen Aufgabe eines grünen Grundsatzes. Mir ist jedenfalls kein Bericht bekannt, der das auch nicht gerade enorm hohe Quorum von bisher 10 Prozent für die Entscheidungsfindung skandalisiert hätte. Meine Befürchtung ist mit Blick auf die Stimmungslage in der Stadt eine ganz andere: Die ökologisch richtige Innenentwicklung führt zu vielen Bürgerinitiativen, die die Veränderungen in ihrem direkten Umfeld gerne mindestens anders hätten oder gar ganz ablehnen. Sie machen insbesondere dem grünen Teil des Regierungsbündnisses den Vorwurf von Scheinbeteiligung. Das zusammengedacht mit dem Abbau innerparteilicher Demokratie-Elemente als vermeintlicher Beweis für die Abkehr der Grünen von ihren Grundsätzen ergibt ein Gebräu, das schädlicher sein könnte als eine schlichte Absenkung des Quorums.
Die verfrühte Einführung des Delegiertenprinzips hat aus meiner Sicht zwei entscheidende Nachteile. Erstens beraubt es die Mitglieder der direkten Mitbestimmung. Dieses basisdemokratische Element unserer innerparteilichen Entscheidungsfindung ist für politisch aktive Menschen ein Pfund und für die Partei in Abgrenzung zur politischen Konkurrenz ein Attraktivitätsmerkmal. Zweitens verstellt die Forderung den Blick darauf, dass die geringe Beteiligung an Landesmitgliederversammlungen womöglich tiefer gehende Fragen aufwirft. Der aktuelle und auch vorherige Landesvorstände haben viele Formate und Neuerungen auf den Weg gebracht, die ein aktives Parteileben deutlich interessanter machen als noch vor zehn Jahren. Gut so! Nur: Gilt das auch für die Landesmitgliederversammlungen? Haben die eventuell auch an Reiz verloren, weil aus einer Mitregierungslogik heraus aufkeimende Konflikte meistens schon im Vorfeld abgeräumt werden? Findet da wirklich echtes Ringen um die beste Entscheidung statt? Trauen wir uns als eingeschliffene Regierungspartei noch die offene Debatte? Ganz persönlich hege ich da manchmal leise Zweifel. Nicht mehr basisdemokratisch und dazu noch langweilig – damit hätten Grüne dann irgendwann in der Tat ein echtes Problem.
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