Ich meine, dass wir uns nicht beschlussfähige grüne Landesmitgliederversammlungen nicht länger leisten können und dürfen.
Am vergangenen Wochenende hat nach langer Zeit wieder eine Landesmitgliederversammlung in Präsenz stattgefunden. Sehr viele haben sich nach langer Coronazeit und zahlreichen Videokonferenzen wieder auf ein Wiedersehen, persönlichen Austausch und spannende Diskussionen zu wichtigen aktuellen Themen gefreut und sind zur LMV gekommen. Aber leider waren wir weniger als 10% aller grünen Mitglieder in Bremen, die für die Beschlussfähigkeit derzeit erforderlich sind.
Es lagen mehrere ausgesprochen gute und wichtige Anträge zu aktuellen Themen wie dem Krieg in der Ukraine oder zur Finanzierung von Maßnahmen gegen die Klimakrise vor. Auch ein umfangreicher Antrag zu Bildungspolitik, der über einen langen Zeitraum und mit viel Beteiligung von der Bildungskommission erarbeitet wurde, und weitere Anträge zur Situation von papierlosen Flüchtlingen und gegen die Vertiefung der Unterweser waren Gegenstand der wirklich spannenden Diskussionen.
Am Programm und auch am Wetter wird die zu geringe Teilnahme wohl nicht gelegen haben.
Mir scheint eher, dass unsere stark gestiegene Mitgliederzahl der Hauptgrund dafür ist, dass wir das erforderliche Quorum nicht mehr erreichen. Ein Parteibeitritt muss nicht bedeuten, dass man sich aktiv beteiligen will, es gibt ausdrücklich die völlig legitime Möglichkeit, einfach nur passives Mitglied zu sein und die Partei „nur“ durch Mitgliedsbeiträge zu unterstützen. Viele neue Mitglieder sind im Bundestagswahlkampf zu uns gekommen, weil sie Robert Habeck und Annalena Baerbock als grüne Hoffnungsträger*innen sehen, die auf Bundesebene eine andere, bessere Politik umsetzen. Damit ist nicht automatisch verbunden, sich aktiv auf Landesebene einbringen zu wollen.
Die Frage stellt sich also, wie wir in Zukunft die Beschlussfähigkeit von Parteitagen sicherstellen können. Denn die Beschlussfassungen der Parteitage sind Grundlage und Kern von demokratischen Entscheidungen innerhalb einer Partei. Noch sind uns die Medien wohlgesonnen und haben ausschließlich über unsere (eigentlich noch nicht) Beschlüsse und nicht über unsere Beschlussunfähigkeit berichtet. Aber wie lange wird das noch so sein? Wann wird das Wohlwollen kippen und nicht mehr die inhaltlichen Beschlüsse, sondern unsere eigene Beschlussunfähigkeit Hauptgegenstand der Berichterstattung sein?
Nicht ohne Grund sieht das Parteiengesetz ab einer Größe von mehr als 250 Mitgliedern die Möglichkeit vor, dass als oberstes Parteiorgan die Mitgliederversammlung durch eine Delegiertenkonferenz ersetzt werden kann. Die Delegierten werden für höchstens zwei Jahre durch die Kreisverbände und grüner Jugend gewählt. Konkrete Regelungen, wie die Größe und Zusammensetzung des Gesamtgremiums, müssen in der Satzung verankert werden. In Brandenburg, wo ich früher aktives Mitglied war, haben wir bei ca. 1.000 Mitgliedern die Landesdelegiertenkonferenz (LDK) eingeführt und in der Satzung die Möglichkeit der Einberufung einer Mitgliederversammlung zunächst offengehalten. Mittlerweile gibt es nur noch die LDK, weil sich dieses Gremium wie auch in anderen grünen Landesverbänden bewährt hat. Wer sich als Delegierte oder Ersatzdelegierte wählen lässt, nimmt regelmäßig auch an den Parteitagen teil. Mir ist keine LDK bekannt, die nicht beschlussfähig gewesen wäre, und dort gelten höhere Quoren als für Mitgliederversammlungen. Zusätzlich haben neben den Delegierten aber auch alle Mitglieder das Recht, an Delegiertenversammlungen teilzunehmen und sich dort an den Diskussionen zu beteiligen. Das Stimmrecht ist jedoch den Delegierten vorbehalten.
Das Delegiertenprinzip kann auch zu aktiveren Diskussionen in den Kreisverbänden im Hinblick auf die Landespolitik beitragen. Delegierte sind dem Kreisverband gegenüber berichtspflichtig und sicher wollen die entsendenden Mitglieder auch in Vorfeld wissen, welche Positionen ihre Delegierten zu den verschiedenen Themen einnehmen werden.
Deshalb meine ich, dass wir jetzt wirklich ernsthaft über die Einführung einer Delegiertenkonferenz auf Landesebene beraten und diese möglichst zeitnah in 2023 einführen sollten, wenn wir Programm und Liste für die nächste Bürgerschaftswahl beschlossen haben.
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