Das Bremer Regierungsbündnis aus SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE setzt sich mit zwei Initiativen für eine höhere Wahlbeteiligung in Bremen und Bremerhaven ein. Zum einen soll die Anzahl der Briefwahlzentren deutlich erhöht werden, damit Bürger*innen wohnortnah ihre Briefwahlunterlagen abholen und abgeben können. Als nahe gelegene Briefwahlzentren kommen z.B. die Ortsämter in Betracht. Die Ausweitung soll noch bis zur Bürgerschaftswahl 2023 erfolgen. Zum anderen soll in der Woche vor dem Wahlsonntag die Wahl vor Ort in Schulen der Sekundarstufe II ermöglicht werden, um die bisher vergleichsweise geringe Wahlbeteiligung von Erstwähler*innen zu erhöhen. Das Vorhaben ist ein bundesweites Novum. Die dafür nötige Änderung des Wahlgesetzes soll in 1. Lesung beschlossen und dann zunächst dem Staatsgerichtshof zur Überprüfung verfassungsrechtlich offener Fragen vorgelegt werden. Damit könnte diese Reform erst zur Bremen-Wahl 2027 umsetzbar sein. Die Debatte zu den beiden Anträgen und zum Gesetzentwurf findet in der Landtagssitzung am Donnerstag dieser Woche statt.
Lenkeit (SPD): „Durch kurze Wege Wahlbarrieren abbauen“
Kevin Lenkeit, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, wies darauf hin, dass die Möglichkeit der Briefwahl in den letzten Jahren stetig an Bedeutung gewonnen habe. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie habe diese nochmals einen starken Schub erhalten. Daher wolle die Koalition die Zahl der Briefwahlzentren in Bremen und Bremerhaven deutlich und umfassend erhöhen. „Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land müssen frühzeitig und wohnortnah die Möglichkeit haben, ihre Briefwahlunterlagen abzuholen und am gleichen Ort ausfüllen und abgeben zu können“, erklärte Lenkeit. „Wir wollen durch kurze Wege Wahlbarrieren abbauen.“ Ideal dafür geeignet seien die Ortsämter, die schon bei der kommenden Bürgerschaftswahl 2023 faktisch zu Briefwahlzentren werden sollen. „Für uns ist klar: Eine starke demokratische Gesellschaft zeichnet sich durch eine hohe Beteiligung an freiheitlichen Wahlen aus. Je höher die Beteiligung ist, desto stärker ist auch die Legitimation.“
Saxe (Bündnis 90/DIE GRÜNEN): „Jungwähler*innen für die Demokratie gewinnen“
Mit der bundesweit einmaligen Wahlmöglichkeit an weiterführenden Schulen würde Bremen eine Vorreiterrolle zur Stärkung der Wahlbeteiligung junger Menschen einnehmen, betont Ralph Saxe, Sprecher für Demokratie der Grünen-Fraktion. „Mit der Stimmabgabe an Schulen wollen wir die Wahlbeteiligung nachhaltig stärken. Gerade bei den 16- bis 17-Jährigen liegt die Wahlbeteiligung deutlich niedriger als in anderen Altersgruppen, obwohl sie am längsten von politischen Entscheidungen betroffen sind. Die erste Wahl ist prägend für die Wahlbeteiligung im weiteren Lebenslauf. Die Schulwahl holt die Erst- und Jungwähler*innen in ihrer vertrauten Umgebung ab und motiviert zur Teilnahme. Die Schulen sind bestens geeignet, die Erstwähler*innen mit verschiedenen Formaten auf ihre Wahlpremiere vorzubereiten. Man erreicht dort auch die, die man sonst nicht erreicht. Das kann die soziale Spaltung bei der Wahlbeteiligung vermindern“, so Saxe. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Vorhaben soll der Staatsgerichtshof nach der 1. Lesung der Gesetzesnovelle überprüfen. „Wir betreten mit diesem Vorstoß bundesweit Neuland. Der Gesetzentwurf enthält viele konkrete Vorschläge, wie sich die möglichen Bedenken ausräumen lassen könnten. Insbesondere muss die Wahlentscheidung auch in der Schule frei von Druck erfolgen. Die vorgesehene Regelung dürfte keine größere Gefahr bergen als die Briefwahl im privaten Umfeld. Mit der Normenkontrolle durch den Staatsgerichtshof gehen wir auf Nummer sicher“, unterstreicht Saxe.
Janßen (DIE LINKE): „Niedrigschwellige Wahlmöglichkeiten für alle“
„Wir wollen niedrigschwellige Wahlmöglichkeiten für alle Bremer*innen in unserem Zwei-Städte-Staat schaffen“, sagt Nelson Janßen, Vorsitzender und innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion. „Dafür müssen die Wege zu den Briefwahlzentren für viele Wähler*innen kürzer werden, erst recht für die Bewohner*innen von dezentral gelegenen benachteiligten Stadtteilen, die weniger mobil sind als andere. Gründe dafür können etwa finanzielle Einschränkungen durch ein kleines Einkommen und somit wenig Geld für den ÖPNV oder ein Taxi sein. Für diese Briefwähler*innen wäre ein Anlaufpunkt im lokalen Ortsamt oder in einer weiterführenden Schule um die Ecke sicherlich eine große Erleichterung.“ Gerade in vielen Stadtteilen in Randlagen würden im Verhältnis deutlich weniger Menschen wählen gehen als im Zentrum, bemerkt der LINKEN-Politiker. „Als Regierungsbündnis wollen wir die deutlichen Unterschiede in der Wahlbeteiligung zwischen den Stadtteilen, soweit dies rechtlich möglich ist, verringern. Wenn möglichst viele Bürger*innen ihre Stimme abgeben, können wir als gewählte Abgeordnete von einem klaren Wähler*innenauftrag sprechen und diesen auch umsetzen“, so Janßen.
Zum Hintergrund: Nach der mit 50,2 Prozent historisch niedrigsten Wahlbeteiligung bei der Bürgerschaftswahl 2015 ist die Wahlbeteiligung 2019 zwar auf 64,1 Prozent gestiegen. Doch eine Trendumkehr ist das noch nicht. Die Regierungsfraktionen wollen deshalb die Stimmabgabe für eine höhere Wahlbeteiligung erleichtern. Insbesondere die Briefwahl hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Hier setzen die beiden Anträge an.
Mit der ersten Initiative sollen die Bürger*innen in allen fünf Bremer Stadtbezirken die Möglichkeit erhalten, ihre Briefwahlunterlagen wohnortnah abzuholen bzw. gleich vor Ort abzugeben. Als Wahlorte könnten die Ortsämter dienen. Bisher konnten Bremer*innen die Wahlunterlagen bei persönlicher Abholung nur beim Wahlamt am Hauptbahnhof, im Stadthaus Vegesack und Bürgerbüro Nord sowie im ehemaligen Bürgerbüro Mitte in Bremerhaven abholen und gleichzeitig auch ausfüllen und abgeben. Die Ausweitung dieses Angebotes soll bereits zur anstehenden Bürgerschaftswahl 2023 umgesetzt werden. Dabei sollen auch nachmittags und samstags ausreichende Zeitfenster zur Stimmabgabe per Briefwahl angeboten werden.
Mit dem zweiten Antrag beabsichtigt das Bremer Regierungsbündnis ein bundesweites Novum: Bremen soll die Briefwahl mit Stimmabgabe vor Ort auch in Schulen der Sekundarstufe II einführen. Infrage kommen dafür 53 weiterführende Schulen, 38 in Bremen und 5 in Bremerhaven mit derzeit rund 25.000 wahlberechtigten Schüler*innen. Dieses Angebot richtet sich an wahlberechtigte Schüler*innen ab 16 Jahre. Zugleich sollen aber auch andere wahlberechtigte Bürger*innen in den Schulwahllokalen die Möglichkeit zur Stimmabgabe an Ort und Stelle erhalten. Die Schulwahl soll eine Woche vor dem Wahltermin möglich sein. Das würde rund 150 Mitarbeiter*innen erfordern. Zu klären sind auch noch offene verfassungsrechtliche Fragen – z.B. ob an den Schulen sichergestellt werden kann, dass niemand bei der Wahlentscheidung unzulässig beeinflusst wird. Um eine Anfechtung der Bürgerschaftswahl zu vermeiden, soll nach der ersten Lesung der Wahlgesetznovelle zunächst der Staatsgerichtshof das Vorhaben überprüfen.
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