… dass auch für die Wahrnehmung der Meinungsfreiheit Regeln gelten müssen.
In der aktuellen Debatte um Behinderungen der Redefreiheit an Universitäten wird gern auf historische Vorbilder verwiesen, vor allem auf die Studentenbewegung vor 50 Jahren. Da lohnt es sich genauer hinzusehen, vielleicht kann ich mit meinen Erinnerungen helfen. Wir haben in den Jahren 1967 bis 1969 tatsächlich öfter Vorlesungen und Seminare gestört und Professoren am Vortrag gehindert. Dabei ging es zunächst aber nicht darum, Diskussion zu verhindern, sondern Diskussion überhaupt erst zu erzwingen, die uns zuvor verweigert wurde, etwa über die Nazi-Vergangenheit des Lehrpersonals. Und Streikbruch zu verhindern, wenn die Studentenschaft förmlich einen Streik beschlossen hatte.
Später allerdings glaubten wir genau zu wissen, was „an eine Universität gehört“ und was nicht, weil es „imperialistisch“, „faschistisch“, „kapitalistisch“ und nicht „emanzipatorisch“ sei. Wir haben uns angemaßt zu wissen und zu entscheiden, was „dem Menschen dient“ und was nicht, was moralisch, was „sagbar“ war und was nicht. Das war ein grundsätzlicher Fehler und der Anfang vom Ende der demokratischen Studentenbewegung.
Geholfen haben uns dann ironischer Weise die Berufsverbote, also der Ausschluss von Tätigkeiten beim Staat wegen unserer Meinungen – nicht wegen unserer strafwürdigen Taten oder wegen schlechter Arbeit. Ich wurde damals aus dem Schuldienst entlassen, allein weil ich für eine – nicht verbotene – linke Partei zum Parlament kandidierte. Mich hat das damals getroffen, aber der oppositionellen Bewegung haben die Berufsverbote Zulauf verschafft und viele junge Leute der Demokratie entfremdet. Umso mehr bin ich entsetzt, dass heute wieder Berufsverbote gefordert werden, diesmal gegen Rechte. Wenn wieder Gesinnung und nicht rechtswidrige Taten zum Maßstab gemacht werden sollen.
Der Meinungsfreiheit sind allein durch gesetzliche Regelungen Grenzen gesetzt. Persönliche Beleidigungen, Verhöhnung von Opfern, Hetze und Diskriminierung von Minderheiten verletzen die Rechte anderer und sind deshalb nicht erlaubt und müssen geahndet werden. Ob unsere Gesetze heute noch genau passen und richtig angewendet werden (etwa wenn es um Soziale Medien geht), darüber muss man streiten, wie der Fall Renate Künast zuletzt gezeigt hat. Und muss die Gesetze dann durch Parlamente überprüfen und ändern. Aber niemand darf sich anmaßen, diese Grenzen selbstherrlich neu zu definieren und das dann mit Druck und Gewalt durchzusetzen.
Wer das versucht, hat nicht nur kein Vertrauen in die Regeln der Demokratie – die wir durch Kritik ändern können –, der vertraut vor allem nicht auf die Kraft unserer Argumente, in den jüngsten Fällen gegen Rechtsextremismus. Das ärgert und enttäuscht mich am meisten.
Hermann Kuhn
Neuste Artikel
Fraktion
Straßenverkehrsgesetz: Grüne kritisieren CDU für wiederholte Blockade der Verkehrswende
Die Reform der Straßenverkehrsordnung (StVO) ist im Bundesrat gescheitert. Aufgrund der ablehnenden Haltung vor allem unionsgeführter Bundesländer konnte die StVO-Novelle in der vergangenen Woche nicht beschlossen werden. Mit der Reform sollten u.a. Klima- und Umweltschutz als neue Ziele ins Verkehrsrecht aufgenommen werden, etwa um mehr Spielraum für die Einrichtung von Busspuren und Tempo-30-Zonen zu schaffen….
Europa
Alexandra Werwath auf grüner Bundesliste für die Europawahl 2024: Engagiert für eine starke maritime Wirtschaft
Auf der Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen vom 23. bis 26. November 2023 in Karlsruhe, erhielt Alexandra Werwath einen Platz auf der starken Grünen Liste für die Europawahl 2024 und sicherte sich den Listenplatz 23. Bereits im Oktober erhielt Alexandra Werwath das Votum ihres Landesverbandes Bremen für die Europaliste 2024. Somit wird sie im kommenden…
Fraktion
Klima- und Sozialpolitik nicht gegeneinander ausspielen: Transformation der Wirtschaft gelingt nur mit sozialer Flankierung
Die grüne Bürgerschaftsfraktion kritisiert Rufe aus Reihen der CDU und FDP, die Transformation in Richtung Klimaneutralität mit einem sozialen Kahlschlag zu finanzieren. „Es ist verheerend, den Eindruck zu erwecken, dass nun einkommensschwache Haushalte zurückstecken müssten, damit Maßnahmen zur Transformation unserer Wirtschaft bezahlbar sind“, sagt der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, Emanuel Herold. Es ist nicht vermittelbar,…
Ähnliche Artikel
Diskussion
Kommentar von Helga Trüpel: „Ohne Angst verschieden sein!“
Als Grüne haben wir uns immer gegen Rassismus, Diskriminierung und Beleidigung von Minderheiten eingesetzt. Wir sind immer für gleiche Rechte für Migranten, Schwule und Lesben und Queers eingetreten und für Frauengleichstellung. Wir wollten und wollen eine Gesellschaft, in der Menschen ohne Angst verschieden sein können! Es geht um den positiven Umgang mit Differenz, es geht…
Diskussion
Blick zurück und Wende nach vorne
Liebe Freundinnen und Freunde, am vergangenen Wochenende haben wir uns auf unserer zweiten digitalen Landesmitgliederversammlung getroffen. Wir wollen an dieser Stelle einmal einen Blick zurückwerfen und einen nach vorne. Wir vermissen Euch. Wir vermissen den direkten Austausch, die Gespräche am Rande von Veranstaltungen – das „dazwischen“, das auf Video-Konferenzen nicht möglich ist und dennoch so…
Diskussion
Carsten von Wissel: „Coronazahlen in Bremer Stadtteilen vorhersehbar“
Corona in den Stadtteilen. Wie Bremen einmal mehr streitet Lange hat sich die Bremer Regierungspolitik dagegen gesperrt, Coronazahlen nach Stadtteilen aufgeschlüsselt zu veröffentlichen. Nun gibt es doch eine Aufschlüsselung nach Postleitzahlen – und was dabei herauskam, ist so überraschungsfrei wie vorhersehbar. Die Zahlen sind da am höchsten, wo die Probleme ohnehin kulminieren. Für den üblichen…