Ich kenne nichts anderes als Demokratie. Ich musste noch nie persönliche Risiken eingehen, um die Demokratie zu verteidigen oder, wie es 1989 die Menschen in der DDR getan haben, zu erkämpfen. Ich bin in den 70er Jahren in Bayern aufgewachsen und ein verwöhntes Kind der unbeschwerten westdeutschen Nachkriegsdemokratie. Umso größer ist mein Respekt vor den Menschen, die heute in Belarus auf die Straße gehen, um ein selbstbestimmtes und freies Leben führen zu können. Ich habe noch nie in einem Land gelebt, in dem ein gewähltes Staatsoberhaupt bewaffnete Milizen auf der Straße unterstützt und gegen Minderheiten hetzt, wie es in den USA geschieht. Ich habe noch nie in einem Land gelebt, in dem Kritiker*innen befürchten müssen, mit chemischen Kampfstoffen attackiert zu werden. Ich musste noch nie recht- und heimatlos in ein anderes Land fliehen.
Mit anderen Worten: Ich habe in meinem Leben einfach Glück gehabt.
In Berlin demonstrieren heute Menschen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie und die angebliche Abschaffung der Demokratie in Deutschland. Es ist eine beunruhigende Allianz aus ganz „normalen“ Bürger*innen aus der Mitte der Gesellschaft mit Verschwörungstheoretiker*innen, Rechtsextremen und Esoteriker*innen, die offen unser „System“ infrage stellt. Das alles ist nicht plötzlich über uns hereingebrochen, sondern war schon lange da. Vielleicht war meine Unbeschwertheit von der oben die Rede ist, auch einfach nur Naivität und Ignoranz. Wenn man sich die Vorgänge um den NSU, Alltagsrassismus und Ausgrenzung in unserem eigenen Land anschaut, stellt man fest, dass es in Deutschland zwar insgesamt viel Demokratie gibt, sie allerdings recht ungleich verteilt ist.
Was können wir dem entgegen setzen?
Demokratie ist weder etwas, was man hat, ist oder bekommt. Demokratie ist etwas, was man macht. Demokratie ist kein Zustand, sondern eine persönliche Entscheidung. Wie wir mit Minderheiten und Kritiker*innen umgehen, zeigt beispielsweise, wie demokratisch wir handeln wollen. Sich in andere Menschen hinein zu versetzen, ist ein Anfang für Demokratie. Wie wir in einer Pandemie unsere individuelle Freiheit nutzen, ist ein ebenso ein Gradmesser für Demokratie wie die Art und Weise, wie wir miteinander sprechen.
Am 15. September ist der internationale Tag der Demokratie. Im Niederländischen kann man aus jedem Hauptwort ein Verb machen. Diese sprachliche Kunststück werde ich mir am kommenden Dienstag in besonderer Weise zu eigen machen und den Tag damit verbringen, zu „demokraten“.
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