Meinung von David Höffer zur Europawahl

Ich meine, …

…dass wir aus dem Europawahlergebnis nicht die falschen Schlüsse ziehen dürfen. Die große Frage für uns Grüne nach diesem enttäuschenden Ergebnis ist, in welche Richtung wir uns ändern sollten, um wieder attraktiver zu werden. Neben dem inhaltlichen Wunsch, unsere Werte beizubehalten, möchte ich dafür argumentieren, warum es auch taktisch falsch wäre, unsere Inhalte zu verwässern. Wir dürfen auf keinen Fall den Fehler machen, der Kritik derjenigen nachzugeben, die uns ohnehin nicht wählen: Die lauteste Kritik an uns Grünen kommt von der konservativen und rechten Seite. Dort liegt aber ohnehin nicht unser Wählerpotenzial. Unser starkes Ergebnis der Europawahl 2019 kam in einem Umfeld zustande, in dem wir als die Partei angesehen wurden, die der Klimabewegung in den Parlamenten am besten weiterhelfen könnte. Viele dieser Menschen haben sich nun anscheinend enttäuscht abgewendet – aber nicht weil wir zu radikal sind (noch viel pragmatischer als in der Bundesregierung oder in Baden-Württemberg, wo wir sehr stark verloren haben, geht es ja kaum), sondern weil wir uns in wichtigen klima- und gerechtigkeitspolitischen Fragen nicht durchsetzen konnten. Dass unsere EU-Fraktion sich, häufiger als es in der Bundesregierung möglich ist, eindeutiger positioniert, dürften die Menschen aufgrund der stark auf die Berliner Politik ausgerichteten Berichterstattung kaum einbezogen haben.

Aufgrund dieser starken Ausrichtung der Wahl an der nationalen Politik sollten wir übrigens beim Vergleich der Wahlergebnisse auch lieber die Bundestagswahl 2021 zu Rate ziehen, die – u.a. nach dem Höhepunkt der Pandemie – deutlich besser die heutige Zeit abbildet, auch wenn durch die weltpolitische Entwicklung (am Wahlkampfstand gefühlt DAS Hauptthema) auch diese Zeit schon wieder lange zurückzuliegen scheint. Ein besserer Vergleichspunkt als die Europawahl 2019 ist es aber allemal. Auch zu diesem Ergebnis haben wir verloren, die Verluste sind aber bei weitem nicht so dramatisch wie bei den Ampelpartnern. Diese Erkenntnis sollten wir in unsere Analyse einbeziehen, auch wenn sie nicht für ein „Alles halb so schlimm, weiter so“ dienen kann. Im Vergleich zur Bundestagswahl sehen die Wählerwanderungen so aus:

Viele unserer Stimmen haben wir in Richtung Nichtwähler*innen verloren, das ist durch die geringere Wahlbeteiligung bei Europawahlen erwartbar. Den größten Teil verloren wir aber an die bei der Europawahl sehr starken Kleinparteien wie Volt oder die Tierschutzpartei, denen gerade – aber nicht nur – junge Wähler*innen anscheinend mehr zutrauen, sich deutlich zu positionieren.

Im Land Bremen haben insgesamt 11,2% grünen-nahe Kleinparteien gewählt (10,5% aus der Grafik plus 0,7% der dort nicht enthaltenen Partei des Fortschritts). Man stelle sich einmal vor, wo wir stehen könnten, wenn wir einen Großteil dieser Stimmen bei der nächsten Bundestags- oder Bürgerschaftswahl gewinnen könnten. Da uns diese Parteien inhaltlich einigermaßen nah stehen, tragen wir die Verantwortung, diese Stimmen auch für die Parlamente zurückzugewinnen, denn im Gegensatz zur EU-Wahl nützen die Stimmen für Kleinparteien gegen die AfD gar nichts bei den Wahlen in Bund und Land.

Einige dieser Stimmen kommen vielleicht wegen der 5%-Klausel bei der Bundestagswahl zurück, aber viele werden sich nur dadurch überzeugen lassen, dass wir klar für unsere Inhalte eintreten. Wenn wir unser (ökologisches) Profil hingegen als Folgerung aus dem Wahlergebnis verwässern, schaden wir meiner Meinung nach nicht nur den Lebensbedingungen auf dieser Welt, sondern auch unseren Chancen bei dieser großen Gruppe von Wähler*innen. Eine ähnliche Haltung wurde übrigens auch kurz nach der Wahl sehr prominent von Bernd Ulrich in der ZEIT ausformuliert. Natürlich werden wir in beiden Dreierkoalitionen weiterhin nicht ohne Kompromisse vorankommen, wir sollten aber gerade mit Blick auf die Bundestagswahl auch aufzeigen, welche ökologischeren und sozialeren Ergebnisse durch stärkere Grüne möglich wären. Und nicht bei jedem nötigen Kompromiss sollten wir diesen als Erfolg verkaufen, sondern es als das darstellen, was es ist: Ein notwendiger Kompromiss, weil die Mehrheitsverhältnisse nichts anderes hergeben, dass wir aber als stärkere Grüne anders handeln würden. Diese Ehrlichkeit werden die Wähler*innen honorieren.

Die „Meinung am Freitag“ (MaF) ist ein Meinungsformat der GRÜNEN im Land Bremen. Sie hat den Zweck, fernab von Veranstaltungen eine Kommentierung politischer, gesellschaftlicher oder parteiinterner Ereignisse zu ermöglichen. Die Beiträge geben stets ausschließlich die persönliche Meinung der Autor*in wieder, nicht die der gesamten Partei.

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