Die Macht der Zerstörung, mit der die Flut Menschenleben und Häuser mit sich riss, sitzt uns allen tief in den Knochen. Diese Momente der Ohnmacht sind verstörend. Doch als Gemeinschaft reagieren wir mit einer bedingungslosen Hilfsbereitschaft und Solidarität. Verschwunden scheint für den Moment das alltägliche Ringen um jeden Heller und Pfenning. Das stimmt hoffnungsvoll und ich glaube, genau daraus entsteht die Kraft für den Wiederaufbau und der Mut für eine neue Zukunft. Mitten in der Krise können wir, trotz aller Differenzen, zusammenstehen.
Die Flutkatastrophe ist Teil der sich wesentlich langsamer vollziehenden Klimakatastrophe. Über diese Zuordnung muss nicht mehr gestritten werden. Die Statistiken und das Präfix „Jahrhundert“ vor nahezu jedem Wetterphänomen sind selbstredend. Und natürlich markiert das Ausmaß der Katastrophe die Dringlichkeit einer schnellen Dekarbonisierung, mit der wir auf die Erderwärmung reagieren müssen. Die Pariser Klimaziele rücken damit deutlich in den Mittelpunkt der politischen Debatte.
Aber die Flutkatastrophe hält noch eine andere Lehre bereit und die Diskussion darüber nimmt gerade erst Fahrt auf. Die Flut offenbart, wie schlecht wir als Gesellschaft auf den tatsächlichen Klimawandel vorbereitet sind. Wir neigen dazu, in unseren politischen Debatten den eigentlichen „Akteur“ aus dem Blick zu verlieren: das Klima selbst. Auf sehr konkrete Weise ist deutlich geworden, dass unser umfangreiches Wissen, von der vorausgesagten Zunahme an Extremereignissen bis zur präzisen Wettervorhersage, nicht ausreichte, um uns zu schützen. Es gab für dieses Ausmaß der Flut keine eingeübten Vorgehens- und Verhaltensweisen. Wer auf Behördenversagen verweist, verkennt die Herausforderung, vor der wir alle stehen. Es geht darum, als Gesellschaft in der neuen Klimarealität anzukommen. Es bedeutet, dass wir uns auf die Zunahme von Extremereignissen vorbereiten müssen. Es bedeutet eine Änderung der Haltung, von reiner Prävention („verhindern wir die Katastrophe!“) zu der Erkenntnis: wir sind schon mittendrin, wir haben keine Kontrolle, wir müssen uns vorbereiten auf das, was kommt. Diesen Unsicherheiten der neuen Klimarealität müssen wir aktiv begegnen. Wir werden von Worst-Case Szenarien ausgehen müssen, um nicht überrascht zu werden. Wir werden uns fragen müssen, wieviel Tage Dürre, wieviel Hitze, wieviel Niederschlag und wieviel Meeresspiegelanstieg auf Bremen zukommen und wie wir uns darauf vorbereiten wollen. Diese Fragen müssen offen besprochen werden, es ist keine Sache der Behörden, sondern von uns allen.
Ankommen in der neuen Klimarealität bedeutet nicht Aufgabe der Klimaziele. Ganz im Gegenteil. Die Unmittelbarkeit der Flutkatastrophe und die Vorbereitungen auf weitere Extremereignisse verändern unsere Haltung gegenüber der Natur. Der Begriff „Klimaschutz“ kann nun in beide Richtungen verstanden werden – es ist unklar, wer eigentlich vor wem Schutz benötigt. Derart mit der Natur auf Augenhöhe, erkennen wir nun deutlich, warum und wie wir handeln müssen. Effektive Klimapolitik wird zur naheliegenden Handlungsoption und ein „weiter so“ zur Dystopie.
Die Vorbereitung unserer Gesellschaft auf Extremereignissen ist eine wichtige politische Aufgabe, da sie die elementare Daseinsvorsorge in den Mittelpunkt stellt und damit besonders integrierend wirkt. In dieser Vorbereitung fokussiert sich der Blick der Gesellschaft immer wieder auf unsere natürliche Umwelt, mit der wir lernen müssen zu kooperieren. Sich vorzubereiten bedeutet, die Perspektive des Gegenübers einzunehmen, die nächsten Schritte vorwegzudenken und die eigenen Handlungsspielräume zu erkunden. Im gesellschaftlichen Kontext gehört das zum Alltag, aber im Verhältnis Mensch-Natur müssen wir es erst wieder lernen. Hier in Bremen hinter den Deichen versammelt sich genug Erfahrung im Umgang mit den Naturgewalten. Es wird höchste Zeit, dass wir dieses Wissen wieder mobilisieren.
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