Mit der stichtagsgebundenen Altfallregelung rechtliche Voraussetzungen für die Legalisierung von Papierlosen schaffen im Rahmen der bereits bestehenden rechtlichen Bestimmungen

Beschluss des Landesvorstands, 09.05.2022, gemäß dem Mitgliedervotum vom 30.04.2022

Wer sich im Bundesgebiet ohne eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Duldung aufhält, gilt als Papierlos. Diese Personengruppe, die im Land Bremen aus schätzungsweise 4000 Personen besteht, ist von Marginalisierung, Ausbeutung und Existenznot überdurchschnittlich stark betroffen. Papierlose haben kaum bzw. eingeschränkten Zugang zur sozialen Daseinsvorsorge und Sicherungssystemen, werden in der Arbeitswelt ausgebeutet und an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. Erwerbstätigkeit, die Kita-Anmeldung oder die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln – das für andere Menschen selbstverständliche Bewegen im öffentlichen Raum – birgt für Papierlose immer das Risiko, entdeckt, kontrolliert, bestraft oder abgeschoben zu werden. Auch die Inanspruchnahme von bürgerlichen Grund- oder Schutzrechten ist für Papierlose immer risikobehaftet. Die Teilnahme an Demonstrationen und Versammlungen stellt ebenfalls ein Risiko dar, ferner können illegalisierte Menschen die Schutzfunktion von Polizei, Justiz oder anderweitiger staatlichen Unterstützung nicht in Anspruch nehmen, ohne eine Abschiebung zu riskieren, wenn sie zum Beispiel Opfer von Ausbeutung oder Gewalt anderer Natur werden. Sie und ihre Familien sind äußerst vulnerabel für ausbeuterische Wohn- und Arbeitsverhältnisse, sexuelle Ausbeutung, Ausnutzung und Abhängigkeit bis hin zu Menschenhandel.

Die Gründe, durch die Menschen in die Papierlosigkeit geraten, sind sehr unterschiedlich. In den meisten Fällen liegt eine unerlaubte Einreise vor oder ein Visum oder eine Aufenthaltserlaubnis läuft aus. Oft liegen aufenthaltsrechtliche Duldungsgründe vor, den Betroffenen fehlen aber die Informationen oder Möglichkeiten, um diese auch geltend machen zu können. Das Leben ohne Papiere drängt Menschen nicht nur in sehr prekäre Lebensbedingungen, sondern häufig auch in die illegale Beschäftigung und teilweise auch in die Straffälligkeit.

Die stichtagsgebundene Altfallregelung soll die Wege aus der Papierlosigkeit erleichtern, um prekärsten Lebensbedingungen mitten unter uns vorzubeugen und Folgeerscheinungen, wie Lohndumping und behördlichen Kontrollaufwand zu minimieren.

Das Aufenthaltsrecht sieht die Erteilung von Duldungen und Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen vor. Demnach können die Verwurzelung und Bindung an einem Ort sowie sozialem Umfeld als Grund für die Erteilung betrachtet werden. Mit dem Regelungsvorschlag zur stichtagsgebundenen Altfallregelung soll der bestehende rechtliche Rahmen genutzt werden können, um den Status von Menschen, die für längere Zeit illegal im Land Bremen gelebt haben, zu legalisieren.

Das Ziel ist es Wege aus der Papierlosigkeit zu erleichtern. Daher heißt es auch in der Koalitionsvereinbarung, dass für „die Gruppe der „Papierlosen“, die bestimmte Kriterien erfüllen, […] eine stichtagsgebundene Altfallregelung“ getroffen werden soll (S. 124).

Wichtiger Bestandteil einer solchen Regelung sollte das Einrichten einer Clearingstelle sein, an die die Betroffenen sich vertrauensvoll wenden können, ohne aufenthaltsbeendende Maßnahmen befürchten zu müssen. Diese Clearingstelle hätte die Möglichkeit, aufgrund der Angaben und vorgelegten Dokumente die Betroffenen über die Erfolgsaussichten zu informieren und hinsichtlich des weiteren Vorgehens zu beraten. Die Clearingstelle könnte außerdem auf Grundlage von anonymisierten Angaben der Betroffenen gemeinsame Fallbesprechungen mit den Migrationsämtern durchführen. Erst wenn die Migrationsämter aufgrund dieser Vorprüfung eine vorläufige Zusage geben können, müssten sich die Betroffenen gegenüber den Migrationsämtern offenbaren.

Die bloße Einrichtung einer solchen Clearingstelle ist aber noch nicht ausreichend, um die o.g. prekären Lebensbedingungen und den Folgeerscheinungen vorzubeugen, auch wenn sie eine sinnvolle Ergänzung zur Stichtagsregelung darstellt. Es braucht darüber hinaus eine verlässliche Regelung, die den Migrationsämtern vorschreibt, mit der Clearingstelle zu kooperieren und alle rechtlichen Möglichkeiten zugunsten der Betroffenen zu nutzen. Es braucht zudem eine klare öffentliche Kommunikation, welcher Personenkreis für die Altfallregelung in Frage kommt.

Wir erkennen an, dass die Umsetzung der neuen Regelungen mit Herausforderungen einhergeht und Bremen hiermit juristisches Neuland betritt. In manchen Fällen wird wohl auch keine Lösung möglich sein, weil die Betroffenen früher einmal im Zuständigkeitsbereich einer anderen deutschen Ausländerbehörde registriert waren und diese Behörde nun nicht bereit ist, die Zuständigkeit nach Bremen zu übertragen. Dies darf aber nicht davon abhalten, eine Lösung auszuprobieren, auf die sich die Koalitionäre nicht nur verbindlich geeinigt haben, sondern die politisch geboten ist, weil sie die Lebensrealität einer Vielzahl von sich im Landesgebiet Bremens aufhaltenden Menschen dramatisch verbessern würde, die aktuell in prekäre Umstände gedrängt werden. Das politische Fenster, das sich durch die Wahl der neuen Bundesregierung und dem Wechsel im Bundesinnenministerium vollzogen hat, gilt es zu nutzen, da hier im Gegensatz zum ehemaligen Bundesminister nicht mit politischer Behinderung von Vorhaben, die menschenfreundliche Regelungen implementieren wollen, zu rechnen ist.

Nur wenn Bremen vorangeht und den bestehenden rechtlichen Rahmen – also die Erteilung von Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen – zu Gunsten der Legalisierung des Status von „Papierlosen“ nutzt, kann die Herstellung von menschenwürdigen Lebensverhältnissen erfolgen. Daher fordern wir, dass mit der stichtagsgebundenen Altfallregelung gemäß Koalitionsvertrag die rechtlichen Voraussetzungen für die Legalisierung von Papierlosen geschaffen werden im Rahmen der bereits bestehenden rechtlichen Bestimmungen.