„Warum es weh tut, wenn ein alter Baum gefällt wird – und warum wir es manchmal trotzdem tun“, so unser Landesvorstandssprecher Florian Pfeffer in unserer neuen Meinungsserie „Grundsätzlich Grün“.
Am 14. August 1912 war in der neuseeländischen Zeitung „Rodney and Otamatea Times, Waitemata and Kaipara Gazette“ folgende Meldung zu lesen:
„Die Öfen der Welt verbrennen jährlich 2.000.000.000 Tonnen Kohle. Diese Verfeuerung fügt der Atmosphäre jedes Jahr ungefähr 7.000.000.000 Tonnen Kohlendioxid hinzu. Das macht die Luft zu einem effektiveren Schirm rund um die Erde und erhöht ihre Temperatur. Dieser Effekt wird in wenigen Jahrhunderten deutlich spürbar werden.“
Das ist nunmehr 110 Jahre her. Und wer jetzt denkt, dass das ganz schön verrückt ist, sollte die Studie „Über den Einfluß von Kohlensäure* auf die Temperaturen am Boden“ des schwedischen Wissenschaftlers Svante Arrhenius aus dem Jahr 1896 zur Hand nehmen, die auf den Zusammenhang der Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre und ihrer Temperatur hinweist.
Seit 1896 haben wir nichts getan bzw. haben alles noch schlimmer gemacht. Und deshalb brennt jetzt unser Haus. Der Stau bei den Klimaschutzmaßnahmen ist riesig und der Handlungsdruck wird täglich größer. So groß, dass wir uns fragen müssen, ob wir Menschen in der Lage sind, die mittlerweile schwindelerregend scharf geschnittene Kurve des anstehenden Wandels schnell genug fahren zu können. Die Fliehkräfte sind enorm.
Ich sage: Ja, das können wir. Wir können das, wenn wir uns als solidarische Gemeinschaft begreifen, ehrlich sind und akzeptieren, dass wir uns alle ändern müssen. Wir müssen ehrlich darüber sprechen, was notwendig ist – denn Ehrlichkeit ist die Voraussetzung dafür, dass das Vertrauen entstehen kann, das den Wandel tragen wird. Wir müssen beispielsweise den Kumpel in der Lausitz sagen, dass ihre Jobs im Kohle-Bergbau keine Zukunft haben und gleichzeitig dürfen wir sie nicht im Regen stehen lassen. Eine Gesellschaft, die Energieunternehmen mit Milliarden entschädigt, muss auch die Mittel aufbringen, ihren Angestellten eine positive Zukunft zu bieten.
Ganz schön viel „müssen“. Kein Wunder, dass wir bei den Grünen oft von den Zumutungen reden, die auf Bürger*innen zukommen. Wir dürfen aber nicht die Augen davor verschließen, dass die Transformation auch uns, die Grüne Partei, verändern wird. Auch auf uns warten Zumutungen, die wir annehmen müssen, wenn wir glaubwürdig bleiben wollen.
So findet beispielsweise diese Woche der erste Spatenstich für den Bau der neuen Fernwärmetrasse in Bremen statt. Das ist ein großer Erfolg Grüner Politik in unserem Bundesland. Die Trasse ist die Voraussetzung dafür, dass das Kohlekraftwerk in Hemelingen abgeschaltet werden kann. Allerdings müssen für dieses Projekt alte Bäume gefällt werden. Dasselbe gilt für die neue Straßenbahn-Verbindung „Querverbindung Ost“, die die Neue Vahr mit der Innenstadt verbinden und knapp 900 Tonnen CO2-Emissionen im Jahr einsparen wird. Auch hier werden 180 Bäume gefällt werden, die entlang der Strecke für Schatten, bessere Luft und eine schöne, natürliche Atmosphäre sorgen. Und wenn – wie von der Bundesregierung geplant – zwei Prozent der Fläche Deutschlands für Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energien zur Verfügung gestellt werden sollen, wird auch das nicht ohne Eingriffe in Naturräume vonstattengehen. Die Verkehrs- und Energiewende ist nicht zuletzt ein gigantisches Infrastrukturprojekt.
Für eine Grüne Partei, deren Wurzeln im Umweltschutz liegen und die traditionell mit einer Portion Skepsis auf derartige Bauprojekte blickt, sind solche Maßnahmen eine Zumutung – auch wenn für die „Querspange“ und die Fernwärmetrasse mehr Bäume nachgepflanzt als gefällt werden. Wir kommen aus einer Tradition der Bürger*innen-Rechte. Für uns haben Beteiligungsverfahren einen hohen Wert. Dennoch müssen wir bei den Genehmigungsverfahren für die Transformation dreimal schneller werden. Das sind nur einige der vielen Dilemmata, die auf uns warten und denen wir uns stellen müssen.
Wir müssen auch uns die Flexibilität und die Veränderungsbereitschaft abverlangen, die wir von anderen Menschen einfordern. Und wenn das bedeutet, dass wir bestimmte Paradigmen überdenken müssen, dann sollten wir heute damit beginnen. Nur dann werden wir in der Lage sein, an Wahlkampfständen zu erklären und zu begründen, warum es uns weh tut, wenn ein alter Baum gefällt wird – und warum wir es trotzdem tun.
Es gibt aber noch eine dritte Voraussetzung für den Erfolg des Wandels: Optimismus.
Es gibt wahnsinnig viel zu gewinnen. Wir können morgen mehr Jobs haben, angenehmere Arten zu reisen, mehr Lebensqualität auf dem Land und in der Stadt, saubere Luft, weniger Allergien und vieles mehr.
All das können wir erreichen, wenn wir heute das Richtige tun.
Übrigens: In dem Begriff „Zumutung“ steckt das Wort „Mut“ – aber das nur am Rande.
*) Arrhenius bezeichnet Kohlendioxid als Kohlensäure, wie es zu dieser Zeit üblich war.
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