Lothar Probst: Was ist eine Bündnispartei? 19. März 2025 Sergey Lagodinsky sagte vor kurzem in einem Taz-Interview: „Ich weiß nicht genau, was das Konzept einer Bündnispartei sein soll – außer vielleicht: Wir dürfen keinen Blasenpopulismus betreiben.“ Er traf mit dieser Aussage den Nagel auf den Kopf. Auch in Bremen wird auf grünen Versammlungen immer wieder die „Bündnispartei“ beschwören, ohne dass es je eine innerparteiliche Definition darüber gegeben hätte, was darunter zu verstehen ist. Auch in der Politikwissenschaft gibt es bisher weder ein normatives noch ein operatives Konzept, aus dem hervorgeht, was eine Bündnispartei im Unterschied zu anderen Parteitypen (Volksparteien, Kartellparteien, Bewegungsparteien) eigentlich ausmacht. Die Unbestimmtheit des Begriffs ist gleichzeitig seine Schwäche – jeder kann sich das darunter vorstellen, was ihm gefällt. Der Ursprung des Begriffs lässt sich nicht genau bestimmen, aber es war Robert Habeck, der den Begriff frühzeitig aufgegriffen und in die grüninterne Debatte eingeführt hat. Er hat zumindest einige Gedankensplitter darauf verwendet, was die Substanz einer Bündnispartei ausmacht. Während einige Medien des Öfteren die Grünen nach einem Umfragehoch schon zur „neuen deutschen Volkspartei“ ausriefen, haben die Grünen aus gutem Grund das Etikett „Volkspartei“ nie für sich reklamiert. Die klassischen Volksparteien sind in einigen europäischen Ländern bereits von der Bildfläche verschwunden, in Deutschland schrumpfen sie weiter und werden zu „Rentnerparteien“. Die Ursache dafür liegt darin, dass klassische Volksparteien nicht mehr den gesellschaftlichen Wandel abbilden. Ihre viel beschworene Krise resultiert daraus, dass sie als politische Formation historisch an ihre Grenzen gelangt sind. Als innerparteiliches Bündnis von gesellschaftlichen Großgruppen brechen sich Volksparteien an der neuen Vielfalt von Lebensformen, Lebensstilen und Milieuausprägungen in modernen Gesellschaften. Wenn wir in einer „Gesellschaft der Singularitäten“ leben, dann stellt sich die Frage, wie man sich überhaupt noch auf ein „Gemeinsames“ einigen kann. Gerade hier liegt die Stärke der Grünen mit ihrer historisch gewachsenen Kernkompetenz: Dem Kampf um die Überlebensfähigkeit des Planeten und der auf ihm lebenden Menschen durch den Schutz der Ökosysteme. Aus diesem Paradigma legitimiert sich der Anspruch, mehr zu sein als eine Milieupartei für auf individuelle Selbstverwirklichung programmierte Gruppen. Die Idee der Bündnispartei greift in diesem Zusammenhang u.a. die Erfahrungen an den Runden Tischen auf, die die ostdeutschen Bürgerbewegungen in den Zusammenschluss mit den westdeutschen Grünen eingebracht haben und dem die Partei ihren heutigen Namen Bündnis 90/Die Grünen verdankt, nämlich dass die „Wahrheit“ aus ganz unterschiedlichen Ecken kommen kann. Hier bekommt der Begriff „Bündnispartei“ seine Konturen. Robert Habeck und Annalena Baerbock schrieben in der ZEIT: „Und der Begriff Bündnis bedeutet nun mal, mit Menschen eine Allianz einzugehen, die nicht alle exakt die gleichen Vorstellungen und Ziele haben wie man selbst.“ Dieser Ansatz stellt der Heterogenität der Gesellschaft das Gemeinsame und nicht das Trennende gegenüber, er baut Brücken zwischen unterschiedlichen Lebenswelten und Milieus sowie Menschen mit unterschiedlichen Ansichten und Meinungen. Dahinter steckt die Idee, das Widersprüchliche nicht als etwas sich Ausschließendes zu denken, sondern als „produktive Spannung“ und sich „bedingende Pole“ zu verstehen. Habeck führt in seinem Buch „Von hier an anders“ diesen Gedanken fort, wenn er schreibt: „Die freiheitliche Demokratie lebt vom Zuhören und Hinterfragen. Davon, dass der andere recht haben könnte. […] Widersprüche auszuhalten, nicht jede Frage gleich mit einer Antwort niederzumachen, selbstkritisch zu sein, Fehler auch mal einzuräumen ist schwer. […] Dennoch liegt hier […] der Schlüssel für eine neue Kultur der Gemeinsamkeit, für die Macht eines neuen gesellschaftlichen Zentrums“. Für die Idee und das Konzept der Bündnispartei ist nicht entscheidend, ob die Grünen 13, 20 oder 30 Prozent der Wählerschaft erreichen und per Mehrheit einen Führungsanspruch in einer Koalition erheben können, sondern ob sie das diskursive Zentrum bzw. das politische Herz einer Gewinnkoalition sind. Das heißt, auch als kleinerer Partner kann eine Bündnispartei eine führende Rolle wahrnehmen, wenn es ihr gelingt, gesellschaftliche Bündnisse zu schmieden und Mehrheiten jenseits politischer Mehrheiten einer Koalition zu mobilisieren – Bündnisse zwischen Unternehmer*innen, Mitgliedern des BUND und alternativen Start Ups, aufgeschlossenen Handwerker*innen, Mitarbeiter*innen in der Windenergie- und Solarbranche und Mitgliedern des Hausfrauenbundes. Die Grünen können, so wie 2019 bei der Europawahl, eine Mitte repräsentieren, die sowohl zur linken als auch zur rechten Mitte anschlussfähig ist, allerdings nur, wenn sie in der Lage sind, aus ihren Fehlern zu lernen. Auch wenn ökologische Themen gegenwärtig keine Konjunktur haben, eignet sich die Bekämpfung der Klimakatastrophe, deren Folgewirkungen sich in den nächsten Jahren voraussichtlich potenzieren werden, immer noch, um gesellschaftliche Bündnisse zu schließen sowie Allianzen zwischen Menschen mit widersprüchlichen Ansichten zu schmieden. Es liegt vor diesem Hintergrund an den Grünen, ob die Idee der Bündnispartei die Grünen auch zukünftig wieder nach oben trägt. — Die „Meinung am Freitag“ (MaF) ist ein Meinungsformat der GRÜNEN im Land Bremen. Sie hat den Zweck, fernab von Veranstaltungen eine Kommentierung politischer, gesellschaftlicher oder parteiinterner Ereignisse zu ermöglichen. Die Beiträge geben stets ausschließlich die persönliche Meinung der Autor*in wieder, nicht die der gesamten Partei. Möchtest du auch einen Meinungsbeitrag einreichen? Dann sende uns deinen Beitrag plus ein Foto von dir bis spätestens Mittwoch, 12 Uhr mittags an info@gruene-bremen.de.