Hermann Kuhn zur Lage der Grünen

Ich meine…

…dass die Transformation nur mit der Mitte der Gesellschaft zu stemmen ist.

Und deshalb Philipp Bruck mit seinem Beitrag in der vergangenen Woche nicht recht hat.

Zunächst zur Empirie, abgelesen nicht an den Ergebnissen in Ostdeutschland (wegen der Besonderheiten auch taktischer Wahlentscheidungen), sondern an den Landtagswahlen in Hessen, Bayern, Bremen und der Europawahl: Unsere Zugewinne in den Jahren zuvor waren von Wählerinnen und Wählern der Parteien in der Mitte gekommen. Bei den genannten Wahlen haben wir einen großen Teil dieser Wählerinnen und Wähler wieder verloren, abzulesen an den Wählerwanderungen. Natürlich hat uns in einem gewissen Umfang auch der allgemeine Trend zur Aufsplitterung der Parteienlandschaft in „Einpunktparteien“ getroffen, aber der Zuwachs der Tierschutzpartei von 1,0 auf 1,3 % bei den letzten Europawahlen in Bremen kann unseren Absturz nun wirklich nicht erklären.

In Bremen war bei der Europawahl der Erfolg von Volt sicherlich ein Faktor. Aber dass Volt als bessere „ökologisch-progressive“ Partei gewählt wurde, bezweifle ich sehr. Außer schönen Sätzen („bis 2040 sind wir klimaneutral“) finde ich in ihrem Programm keinerlei konkreten Schritte, wohl aber das Eintreten für Kernenergie und Kohlenstoffbindung (bei den harten Ökos ja eher unter Verdacht). Ansonsten gleicht ihre Präambel unserer Präambel in dieser Frage ziemlich. Wer liest schon die Programme, kann man sagen. Aber ihre Plakate waren eben frisch, frech, unverbraucht und hatten auch Europa zum Thema – das war der Unterschied zu den Grünen im Frühjahr 2024.

Philipp argumentiert gegen die Übernahme von Vorwürfen der politischen Konkurrenz, gegen „mehr Pragmatismus“ und „Programmatisch in die Mitte“. In allen drei Fällen geht er an den Problemen vorbei, die wir Grünen haben. Gerade im zentralen Feld der Klimapolitik.

Handwerkliche Fehler (beim „Heizungsgesetz“) passieren nun mal, schreibt er, aber das Gesetz sei doch jetzt richtig und wichtig. Das verkennt ziemlich, dass die Geschichte des „Heizungsgesetzes“ ein wesentlicher Kipppunkt im Ansehen und der Kompetenzzuschreibung der Grünen war. Nicht allein wegen des Gesetzeshandwerks, sondern weil der erste Entwurf das Ende von Wärmeversorgungsquellen mit Jahr und Tag festlegen wollte, ohne sagen zu können, wie das denn technisch – und für viele finanziell – für die Leute machbar sein würde.

Mit der Vorschaltung einer obligatorischen Wärmeplanung durch die Kommunen ist nun das „Heizungsgesetz“ etwas ganz anderes als der erste Entwurf. Der Staat muss nun sagen, was wie für die Bürger jeweils machbar ist (dazu kommen jetzt die guten Fördermöglichkeiten). Unsere grüne Klimasenatorin wird jetzt schon wissen, dass das eine ganz andere Aufgabe ist als eine Jahreszahl weit voraus festzulegen. Wir werden hier zeigen müssen, dass wir Klimapolitik können. Auch aus Fehlern lernen.

Bedeutet: Nur Dinge vorschlagen und beschließen, die – durchaus mit Anstrengungen – für die meisten Menschen machbar sind: Das ist für mich die Definition von Pragmatismus. Und Politik in der Mitte bedeutet für mich, Vorschläge zu machen, die grundsätzlich gesellschaftliche Mehrheiten finden können. Grundsätzlich: Das bedeutet auch, dass man zunächst erstmal ziemlich allein dastehen kann. Dafür sind wir ja eine eigenständige und eigenwillige Partei.

Politik in der Mitte bedeutet auch, dass wir wissen: Wir wollen und müssen politische und gesellschaftliche Mehrheiten gewinnen. Zentrale Krisen lassen sich nur von Mehrheiten in der Mitte bewältigen: Die Klimakrise nicht ohne sehr viele Menschen und die Unternehmen (Arcelor!), die Verteidigung des Asylrechts durch Konzentration auf den Kern dieses Rechtes, die Verteidigung der Demokratie nicht ohne ein Bündnis der demokratischen Parteien.

Abstrakt „mehr Kompromissbereitschaft“ fordert doch niemand. Was die Klagen über angeblich zu große Kompromissbereitschaft angeht, so muss man sich das in jedem Fall gesondert ansehen. Pauschal sehe ich solche Kritik weder in der Bundespolitik noch in der Bremer Landespolitik (oder?) als begründet an.

Der eigentliche Kompromiss ist der mit der Wirklichkeit, der physischen und der politischen. Und auch die grüne Klimapolitik wird ein „Kompromiss“ sein müssen zwischen den Klimazielen, wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und sozialer Akzeptanz. Leichter geht es leider nicht, und allein werden wir das nicht schaffen.

In welcher Partei möchte ich sein? In einer Partei, die die Größe der Aufgaben erkennt und daraus Ziele formuliert; und die dann in der Lage ist, kleinere und größere machbare Schritte dahin zu formulieren und die Menschen für diese Schritte zu gewinnen.

Hermann Kuhn, KV MÖV

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