Hermann Kuhn zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

Ich meine…

… dass die gegenwärtige Art der Auseinandersetzung um die EU-Asylpolitik die Grüne Partei in große Gefahr bringt. Wer etwa von „Schande“ und „erbärmlich“ schreibt und das verbreitet, der oder die sagt ja, dass die Außenministerin und die anderen grünen Mitglieder der Bundesregierung, die den Rats-Beschluss mittragen, sich an „Schande“ beteiligen. Könnten sie dann noch im Amt bleiben? Wenn das ernst gemeint ist, wäre es ein schwerer Fehler; wenn nicht, ist es ein gefährliches Spiel.

Ich möchte auch in der Sache gegen solche Kritik sprechen. Die Grünen loben sich selbst gern als „die europäische Partei“. Wenn das so sein soll, und ich bin sehr dafür, dann muss es bedeuten, dass in unserer Politik immer ganz oben die Sorge um den Zusammenhalt der EU steht. Denn Zusammenhalt ist die Voraussetzung für Handlungsfähigkeit; Handlungsfähigkeit die Voraussetzung für die Möglichkeit, neuen Herausforderungen zu begegnen. Das sehen wir positiv bei der Verteidigung der Ukraine gegen Putin, das haben wir lange Zeit negativ bei der Asylpolitik gesehen.

Seit vielen Jahren sagen alle, auch wir: „Die EU muss die solidarische Verteilung der Asylsuchenden organisieren“, muss, muss, muss. Ist aber nicht geschehen. Denn wir haben keinen tragfähigen Kompromiss gefunden zwischen den (geografisch definierten) Interessen und zwischen den politischen Mehrheitsströmungen in den Gesellschaften der EU. Und deshalb ist die Lage an den Außengrenzen und in der EU nicht besser, sondern schwieriger geworden, die nationalen Alleingänge häufiger, die Abgrenzung größer, die Freizügigkeit innerhalb der EU in Gefahr.

All das wäre durch weiteres Nichtstun in der EU nicht besser geworden, sondern noch schlechter. Und deshalb ist der Beschluss vergangener Woche sicher nichts „Historisches“ und der Erfolg noch keineswegs garantiert, er ist aber wohl ein Schritt in die richtige und notwendige Richtung: Der Einstieg in eine geregelte Verteilung in der EU, zunächst in kleiner Zahl; verbunden mit Prüfung der Asylgesuche eines eng definierten Personenkreises an den Außengrenzen der EU, innerhalb von maximal drei Monaten Aufenthalt dort.

Das ist nicht die Abschaffung des Rechtes auf Asyl. Das Asylrecht bedeutet ja nicht nur die Pflicht der Staaten auf Prüfung des Antrages unter rechtsstaatlichen Bedingungen, sondern auch das Recht und die Pflicht der Staaten, die Prüfung mit Ja oder Nein abzuschließen und diese Entscheidung dann auch umzusetzen. Es ist aber bekannt, dass die Nein-Entscheidungen, Ablehnungen heute nur zu einem sehr kleinen Teil auch umgesetzt werden. Und so kommen auch viele, die gar keinen Hehl daraus machen, dass sie in Europa eine bessere wirtschaftliche Zukunft suchen. Das ist vollkommen legitim, aber kein Asylgrund. Und das frühzeitig bei geringen Aussichten zu klären, ist eine Verbesserung.

Die heutigen ungeregelten und teilweise chaotischen Zustände führen dazu, dass die gesellschaftliche Akzeptanz für das Asylrecht schwindet, der Konsens darüber weiter bröckelt. Das merken vor allem die Politiker*innen, die in den Kommunen am Ende in der Verantwortung stehen, und auch Grüne unter ihnen schlagen deshalb Alarm. Und da geht es eben nicht nur um mehr Geld vom Bund. Es geht um die Integrationsfähigkeiten und den Zusammenhalt der Gesellschaft, für die wir Grüne als Regierungspartei auf vielen Ebenen mit verantwortlich sind. Ohne Zusammenhalt und die Mehrheiten, die diesen Zusammenhalt politisch ausdrücken, würde auch das Recht auf Asyl Schaden nehmen. Deshalb war eine Ablehnung – zusammen mit Orban und der PiS – und damit weiterer Stillstand in Brüssel zu Recht keine Option. Und deshalb dürfen wir erst recht unsere Ministerinnen und Minister in Berlin nicht beschädigen. Wem wäre damit wohl geholfen?

Hermann Kuhn

Die „Meinung am Freitag“ (MaF) ist ein Meinungsformat der GRÜNEN im Land Bremen. Sie hat den Zweck, fernab von Veranstaltungen eine Kommentierung politischer, gesellschaftlicher oder parteiinterner Ereignisse zu ermöglichen. Die Beiträge geben stets ausschließlich die persönliche Meinung der Autor*in wieder, nicht die der gesamten Partei.

Möchtest du auch einen Meinungsbeitrag einreichen? Dann sende uns deinen Beitrag plus ein Foto von dir bis spätestens Mittwochabend an info@gruene-bremen.de.