Offener Brief von Maike Schaefer zu einer Exit-Strategie 8. April 2020 Liebe Freundinnen und Freunde, die Corona-Krise hat uns alle ziemlich überrascht. Ich bin mir sicher, dass kaum jemand von uns Anfang des Jahres jemals damit gerechnet hat, dass sich Corona als weltweite Pandemie entwickelt und sowohl das öffentliche als auch das private Leben derart ausbremsen würde. Es war richtig, die strikten Maßnahmen zur Kontakteinschränkung vorzunehmen, um die weitere exponentielle Ausbreitung des Virus auszubremsen. Dass diese Entscheidungen richtig waren, auch wenn sie von uns allen ein Höchstmaß an Geduld, Ausdauer und auch Leidensdruck einfordern, denn keiner ist gerne in seinen elementaren Freiheiten beschnitten, zeigen Länder wie Großbritannien oder den USA, die die Infektionsraten anfangs runterspielten und nun dramatische Folgen mit extrem hohen Sterberaten auszustehen haben. Und natürlich ist es schön, dass sich eine Welle der Hilfsbereitschaft entwickelt hat, angefangen von Einkäufen für ältere Nachbarn, Versorgung von Obdachlosen bis hin zu Näh-Aktionen von Schutzmasken. Doch so richtig und wichtig es ist, alles zu tun, um die Corona-Neuinfektionen zu reduzieren, müssen wir auch sehen, dass die Kollateralschäden gering bleiben. Praktisch alle Bereiche des Lebens und der Gesellschaft sind betroffen. Angefangen von gerade älteren Menschen, die jetzt ihre sozialen Kontakte vermissen und vermehrt unter Einsamkeit leiden. Auch die Schließung der Kitas und Schulen ist eine Herausforderung für alle Eltern hinsichtlich der Kinderbetreuung, aber bedeutet auch, dass die Spaltung zwischen Kindern aus bildungsfernen und bildungsnahen Elternhäusern immer größer wird. Die Kinder, bei denen die Eltern darauf achten, dass die von den Lehrern gestellten Aufgaben gemacht werden, sind weiter im Vorteil, während die Schülerinnen und Schüler aus benachteiligten Familien noch mehr abgehängt werden, da ihnen die Strukturen der Kitas und Schulen fehlen, manchmal sogar mit Home-Schooling auch auf Grund der technischen Ausstattung schlicht nicht zu erreichen sind. Daher darf die Schließung der Kitas und Schulen nur solange andauern, wie sie wirklich zwingend im Rahmen des Infektionsschutzes notwendig sind. Und schließlich ist auch schon jetzt klar: die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise werden uns lange beschäftigen. Die Schließung von Geschäften, das Absagen von Kulturveranstaltungen, etc. bedeutet jetzt schon für viele Bremerinnen und Bremer Einbußen in ihren Einkommen, Geschäftsverluste, Kurzarbeit bis hin zu Existenzbedrohungen. Gerade Selbstständige und Kreative bekommen dies derzeit gravierend zu spüren, selbst wenn diese sich jetzt andere Vermarktungswege erschließen, kompensiert dies nicht die hohen Verluste. Aber auch weltweit brechen Märkte zusammen. Erst kam die Produktion in China großteils zum Erliegen, jetzt aber auch weltweit. Bremen als Industriestandort ist besonders betroffen. Die Werke von Mercedes und Airbus sind zum Stillstand gekommen, die Stahlwerke produzieren nur noch ein Minimum an Stahl und viele andere Betriebe haben ihre Beschäftigten ins Home-Office, zum Abfeiern ihrer Überstunden oder in die Kurzarbeit nach Hause geschickt. Eine Gesellschaft kann für eine überschaubare befristete Zeit einen solchen SLOW- DOWN (er-)tragen, doch die Corona-Pandemie wird nicht an einem politisch beschlossenen Stichtag zu Ende sein. Es wird sicherlich noch Monate dauern bis ein Impfstoff auf dem Markt ist. Solange hält weder unsere Gesellschaft die strengen Kontakteinschränkungen aus, noch die Weltwirtschaft der Krise stand. Fazit: Wir brauchen also eine Exitstrategie, und zwar jetzt, die auf der einen Seite die Ansteckungsgefahr geringhält und auf der anderen Seite das gesellschaftliche und auch wirtschaftliche Leben wieder langsam in Gang bringt. Ein Stichtag darf aber nicht willkürlich gewählt sein nur weil wir keine Geduld mehr haben. Er darf nicht dazu führen, dass die Infektionszahlen wieder in die Höhe schnellen und danach die Folgen und Einschnitte noch gravierender sind. Er muss mit Bedacht und nach plausiblen Kriterien gewählt sein. Was sind die Kriterien: Die Zahl der Neuinfizierten muss signifikant nach unten gehen (die Ansteckungsgefahr muss unter dem Wert eins liegen (also ein Infizierter infiziert nur eine weitere Person). Es muss ausreichend Tests geben. Nicht nur Verdachtsfälle müssen getestet werden, sondern auch standardmäßig Personengruppen, die entweder besonders gefährdet sind oder auch bestimmte Tätigkeiten ausüben in denen sie andere nicht anstecken dürfen, wie zum Beispiel im medizinischen und Altenpflegebereich. Es müssen ausreichend Schutzmaterialien (Schutzmasken, Kittel, Handschuhe, Desinfektionsmittel) für alle relevanten Bereiche vorhanden sein (Krankenhäuser, Alten-/Pflegeheime, etc.) und dies über einen langen Zeitraum. Es müssen genügend Intensivbetten in den Krankenhäusern inklusive Beatmungsgeräten, Schutzausrüstungen und Krankenpflegepersonal vorhanden sein, damit Infizierte mit kompliziertem Krankenverlauf ausreichend versorgt werden können. Wir können uns keine Exitstrategie erlauben, bei der am Ende an Corona Erkrankte in den Krankenhäusern ohne ausreichende Versorgung sterben und Ärztinnen und Ärzte in die moralische/ethische Zwangslage kommen über Leben und Tod von einzelnen Patienten zu entscheiden, wie es in Italien der Fall Die Meldesysteme müssen optimiert werden, damit Infektionsquellen schnellstmöglich identifiziert werden und effiziente Maßnahmen ergriffen werden können – hierzu gehört auch die strikte Einhaltung von Quarantänemaßnahmen. Meines Erachtens muss eine Exitstrategie bundeseinheitlich durchgeführt werden. Ein föderaler Flickenteppich führt nur zur Kleinstaaterei und Verunsicherung der Bevölkerung, wenn in einem Bundesland Schulen und Geschäfte schon wieder geöffnet werden und in einem anderem noch nicht. Für uns als kleines Bundesland mit einem intensiven Austausch mit Niedersachsen gilt das im Besonderen. Es bedarf sicherlich eines Stufenplans. Zuerst wurden Großveranstaltungen über 1000 Besucher- womöglich aus unterschiedlichen Städten oder sogar international – untersagt, da bei solchen Menschenansammlungen die Gefahr einer großflächigen Ausbreitung hoch ist. Solche Großveranstaltungen stehen sicherlich ganz hinten an, wenn es darum geht, in Zeiten von Corona das gesellschaftliche Leben wieder hochzufahren. Ein erster Schritt muss sein, die Bereiche wieder zu öffnen bzw. aus der Kurzarbeit zu führen, in denen es wenig Kundenkontakt gibt. Das heißt Gewerbe, Betriebe, Industrieunternehmen. Dabei muss die Kinderbetreuung der Beschäftigten gewährleistet sein. In weiteren Schritten folgen dann Kitas und Schulen, Geschäfte und zuletzt, wenn wirklich das Infektionsrisiko gering oder ein Impfstoff entwickelt ist, wieder Großveranstaltungen. Die Menschen brauchen eine Perspektive, um diese außergewöhnliche Zeit nicht nur zu überstehen, sondern auch die damit verbundenen Einschränkungen mitzutragen. Daher sind jetzt Epidemiologen gefragt, verlässliche Simulations- Modelle auf Basis von stark ausgebauten Testreihen und datenschutzrechlich einwandfreien Tracingdaten zu berechnen, die aufzeigen welche Maßnahmen sich als effizient herausgestellt haben und welche Schritte im Rahmen einer Exitstrategie verantwortungsbewusst und zu welchem Zeitpunkt umgesetzt werden können. Exit ja- aber mit Verstand. Wir brauchen hierzu eine breite gesellschaftliche Diskussion. Wir können die politischen Entscheidungen bei niemandem, auch nicht bei den Virologen, abladen, weil wir vor einer Abwägung von „Leben und Leben“ stehen. Ich würde mich freuen, wenn wir Grünen als Partei, Fraktion und Senat gemeinsam eine Strategie entwickeln, wie wir diesen Diskurs organisieren. Das hier ist meine Meinung, schreibt uns Eure! Herzliche Grüße, Eure Maike