Matthias Güldner: „Besser kommunizieren“, was heißt das eigentlich nach den Wahlen 2024?

So sehr die politischen Triggerpunkte wie Migrationspolitik und Heizungsgesetz die Schlagzeilen bestimmen, kann der Aufstieg von AfD und BSW nicht allein durch die Wirkung dieser Reizthemen erklärt werden. In Befragungen vor und nach Wahlen wird deutlich, dass viele Details und auch größere Argumente der fachpolitischen Auseinandersetzung die Wahlbevölkerung gar nicht in dem Ausmaße erreichen, wie Polit-Insider:innen vermuten. Ein Donald Trump erzählt hochgefährliche Lügen und emotionale Hetztiraden und wird aber durch die Einfachheit der Sprache von nahezu 100% aller Menschen verstanden, eine Reichweite, ohne die seine Stellung in der US-Politik nicht vorstellbar wäre. Auch die Verdreifachung der AfD-Stimmen in wenigen Jahren (nach Umfragen Anfang September auch bundesweit 19%) und die Zweistelligkeit des BSW in wenigen Monaten kann vollständig nur durch einen Blick auf das Kommuniaktionsverhalten erklärt werden.

Wir Grünen haben auch ohne den Erfolg der Populisten seit Jahren ein immer größer werdendes Problem, Menschen zu erreichen. Als 1984 in die Partei Eingetretener liegt das historische Buch unserer Ansprachen quasi vor mir auf dem Tisch, lasst mich einmal darin blättern.

In einer ersten Phase der Partei war die Kommunikation ursprünglich, wütend, emotional, kämpferisch und – neben viel Merkwürdigem und Verschwurbeltem – mit fachlichem Expertenwissen angereichert, vor allem in der Ökologie, einer Leerstelle der anderen Parteien. Zusammengefasst war ein Erfolgskriterium der Phase bis zur ersten Regierungsbeteiligung im Bund das Originelle und Authentische Grüner Statements, die zudem durch sehr ausgeprägte Persönlichkeiten ein großes Maß an erfrischender kommunikativer Vielfalt versprühten.

Mit dem Eintritt in die rot-grüne Bundesregierung begann eine Phase der von ‚oben’ nach ‚unten‘ verordneten Professionalisierung. Diese war zwangsläufig und zum Regieren mit ausgebufften Sozis auf Bundes- und Landesebene unvermeidbar. Nachwachsende Grüne Generationen sogen die Botschaft auf, dass die Partei durch gezielt vorbereitete strategische (oft eigentlich nur taktische) Äußerungen Fehler vermeiden und sich Vorteile im Parteienwettbewerb verschaffen sollte. Authentizität, Verständlichkeit, Nachvollziehbarkeit für Menschen außerhalb des Politikbetriebes bleiben so nach und nach auf der Strecke. Emotionen wurden und werden von mehr oder weniger gekonnten Polit-Darsteller:innen zunehmend vorgetäuscht. Eine Übung, die vielleicht mit dem so genannten Entschuldigungsvideo der Ex-Bundesfamilienministerin Anne Spiegel ihren vorläufigen Tiefpunkt erreichte. Eine glattere, gekonntere Entschuldigungsrede wäre zwar nach gängigem Maßstab „professioneller“, aber in ihrer Langzeitwirkung auf die Wähler:innen noch unglaubwürdiger gewesen.

Durch weitere Degenerierungseffekte über den Generationenverlauf hinweg sind wir heute leider bei einer „Professionalisierung“ der Grünen politischen Rede angekommen, die inhaltlich ausgehölte Phraseologie und gemimte Emotionalität nebst einstudierter Hand- und Kopfbewegungen zu einem unverdaulichen Mix von sich immer mehr ähnelndem Politsprech verrühren. Führungskräfte der Partei mit viel „professioneller“ Schulung sind von diesem Phänomen am meisten betroffen, sofern sie nicht über ein ausreichendes politisches Immunsystem gegen (Selbst-)Täuschung verfügen. Eine nur wenigen bewußte Falle, da sie dem Professionalisierungsparadigma der selbstbewußten Vorgängergenerationen wenig entgegenhalten konnten.

Bleiben zwei Ausnahmepolitiker:innen, deren Vertrauen auf das eigene Denken und Handeln groß genug waren, diese Falle zu vermeiden und die genau dafür geschätzt und nach vorne gewählt wurden. Während Annalena weiterhin auch außenpolitisch heikle Themen mit ihrer eigenen, in der Regel gut verständlichen, Sprache kommuniziert, aber sich auf das sehr schwer zu durchschauende Gebiet der Außenpolitik beschränkt, ist Roberts Alleinstellungsmerkmal als empathischer Politikerklärer etwas verblichen. Es liegt nahe, dass Authentizität und empathische Sprache nur ein begrenztes Maß an Hype überleben. Routine ist im Politikerdasein zum Überleben absolut notwendig, andererseits der natürliche Feind von Authentizität. Duzentfaches tägliches öffentliches Auftreten mit eigener origineller Sprache zu bestreiten, scheint physisch und psychisch unmöglich. So wirkt seit einiger Zeit auch Robert nicht nur verständlicherweise müde und frustriert, sondern auch zunehmend formelhaft und dadurch weniger überzeugend.

Was bleibt? Man wünscht sehr vielen Grünen Akteur:innen einen Resetknopf zur Erinnerung an die eigenen Ziele, Leidenschaften und an die Art und Weise, wie sie mit Freund:innen und Verwandten sprechen (oder sprachen als sie dies noch außerhalb des Politzirkus taten). Vielleicht hilft auch, grünen Funktionsträger:innen ihre floskelhaftesten Statements in Dauerschleife vorzuspielen.

Eine Arbeitskollegin hat es angesichts meines Herumschwurbelns einst auf den Punkt gebracht: „What do you want to say? Say it!“ Ganz einfach und zwar mit dem eigenen Kopf, der eigenen Sprache, den eigenen authentischen Emotionen. Liebe Grüne, vergesst den Teil von „Professionalisierung“, der euch von den Wähler:innen entfremdet hat und weiter entfremdet, er schubst die Menschen quasi in die Arme derjenigen, die verheerendste politische Ziele mit einfachen und verständlichen Worten vermitteln. Das Populäre (im Sinne von verständliche, einfachende) am Populismus ist kein Verbrechen, die menschenfeindlichen Inhalte sind es und natürlich die Lügen, die Gewalt und die Hetze. Aber unverstanden, unpopulär und zunehmend gerade von jungen Menschen abgelehnt wird kein Klima gerettet, keine inklusive Gesellschaft gebaut, kein Grünes Land gestaltet.

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