Für eine Gesellschaft der Vielen – gemeinsam gegen Rassismus, Ausgrenzung und Hass

Dieser Antrag wurde von der nicht beschlussfähigen Landesmitgliederversammlung am 18. Juli 2021 empfohlen und entsprechend der Empfehlung am 19. Juli vom Landesvorstand beschlossen.

Der gewaltsame Mord an dem schwarzen US-Amerikaner George Floyd am 25. Mai 2020 durch einen weißen Polizisten hat in vielen Teilen der Welt Proteste gegen Rassismus auf die Straße gebracht. Auch in Deutschland markiert die Black Lives Matter Bewegung einen Meilenstein in der Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus. Während die Corona-Krise die Welt in Atem hielt, trugen die Stimmen der Protestierenden eine Tatsache nach außen, die seit jeher für nicht-weiße Menschen tagtäglich spürbar ist: Die meisten Menschen positionieren sich gegen
Rassismus und dennoch bestimmt er weiterhin den Alltag von vielen BI*PoC in Deutschland. Der Begriff des strukturellen Rassismus bezeichnet explizit rassistische Strukturen, Handlungs- und Entscheidungsabläufe.

Benachteiligung bei der Ausbildungsplatz-, Arbeits- und Wohnungssuche, bei der Gesundheitsversorgung und in zahlreichen anderen alltäglichen Situationen sind für viele Menschen eine oft gemachte und bittere Erfahrung. Dazu kommen Abwertungen, Ausgrenzung und rassistische Zuschreibungen im öffentlichen Diskurs. Rassistische Einstellungen werden oft auch von der Mitte der deutschen Gesellschaft vertreten und struktureller Rassismus ist, wie der Begriff schon vermuten lässt, in staatlichen Institutionen verankert. Am Ende dieser Kette stehen die jüngsten rassistisch motivierten und rechtsterroristischen Anschläge von Halle und Hanau. Denn eins hat sich immer wieder gezeigt, irgendwann wird aus systematischer Ausgrenzung Hass und aus Hass folgt Gewalt.

Für uns GRÜNE ist deshalb klar:
Das Aufdecken von rassistischen Strukturen und der Kampf gegen Rassismus in seinen unterschiedlichen Facetten ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auch in der Verantwortung von Staatlichkeit liegt und die Perspektiven der Betroffenen im Zentrum haben muss. Nur so können wir unsere plurale Demokratie stärken und zu einer Gesellschaft der Vielen werden.

Bremen wird von den meisten die hier leben als ein toleranter, bunter und weltoffener Stadtstaat beschreiben: Institutionen, die Weltoffenheit und Toleranz als Stärke begreifen, eine Politik, die Diskriminierung und Hürden abbauen will und eine aktive Zivilgesellschaft, die sich gegen Ungerechtigkeiten engagiert. Das alles ist Bremen!

Doch als Gesellschaft sind wir nun mal nicht von historisch bedingten rassistischen Denkmustern gewahrt. Struktureller- und institutioneller Rassismus sind auch hier ein Thema, bei dem wir uns als politische Akteur*innen selbstkritisch hinterfragen müssen, damit unsere Institutionen zukünftig in der Lage sind, Betroffene zu schützen. Dass dies noch nicht hinreichend der Fall ist, wurde jüngst bei den Ermittlungen zu den Vorfällen sexistischer, rechtsradikaler, queerfeindlicher und rassistischer Hetze in der Bremer Feuerwehr und in der aktuellen Debatte um die städtische Wohnungsgesellschaft BREBAU deutlich.

Um strukturellen Rassismus nachhaltig zu bekämpfen, ist es notwendig, sich ausführlich und (selbst-)kritisch mit der Verteilung von Macht, Ressourcen und den Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe, sowie mit den von Rassismus und anderen Menschenfeindlichkeiten intersektional beeinträchtigten Lebensrealitäten zu beschäftigen. Diese Aufgabe ist weder angenehm noch einfach, weil es voraussetzt, dass wir uns als Gesellschaft, mit unseren Strukturen und Institutionen, in einem anstrengenden Prozess selbst hinterfragen- und uns außerdem nachhaltig verändern müssen. Das braucht Zeit. Unser Ziel aus der daraus erwachsenden Verantwortung ist klar: Um eine Gesellschaft der Vielen zu ermöglichen, müssen wir die Erfahrungen und Perspektiven von von Rassismus betroffene Menschen ernst nehmen, Verantwortung für ihren Schutz übernehmen und mit der selbstkritischen Brille auf Strukturen schauen, die Schwarze Menschen, Sinti*zze und Rom*nja und so viele andere nicht-weiße Personengruppen benachteiligen. Wie gesagt: Um eine rassismusfreie Gesellschaft zu realisieren, müssen wir die Praktiken aller Institutionen ehrlich und selbstkritisch hinterfragen. Dieses Hinterfragen muss dann aber auch mit der Bereitschaft einhergehen, Strukturen zu verändern. Das betrifft die Polizei, das Gesundheitssystem, Bildungseinrichtungen, die Feuerwehr und vieles, vieles mehr. Weil wir wissen, dass wir im Sinne des Gleichbehandlungsgrundsatzes in besonderer Verantwortung dafür stehen.

Gegen strukturellen Rassismus auf dem Wohnungsmarkt

Auch bei der Wohnungssuche erfahren Menschen aufgrund ihrer (zugeschriebenen) Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Kultur oder ihrer Sexualität Diskriminierung. Selten kann diese nachgewiesen werden. Rassistische Diskriminierung am Wohnungsmarkt ist eine der häufigsten Diskriminierungsformen überhaupt. Oftmals beginnt diese bereits beim ersten Kontakt mit den potentiellen Vermieter*innen. Die Email, die nicht beantwortet wird, weil der Nachname des Absenders „ausländisch“ klingt. Das Telefonat, welches beendet wird, sobald der oder die Vermieter*in mitbekommt, dass die anrufende Person nicht akzentfrei Deutsch spricht. Ein Kopftuch, das beim Besichtigungstermin getragen wird.Am 20. Mai 2021 wurde bekannt, dass Mitarbeiter*innen der BREBAU mutmaßlich von anderen Vorgesetzten in internen Anweisungen dazu angehalten wurden, bestimmte Merkmale von Wohnungssuchenden, wie Hautfarbe, Deutschkenntnisse, bestimmte ethnische Hintergründe, aber auch der momentane Wohnort in ärmeren Stadtteilen, mit Kürzeln in internen Notizen zu vermerken.

Eine solche strukturell-rassistische Praxis verurteilen wir aufs Schärfste! Gerade städtische Wohnungsbaugesellschaften sollten überall als Anspruch haben, insbesondere Menschen, die es auf dem normalen Wohnungsmarkt besonders schwer haben, in Wohnraum zu vermitteln. Deshalb ist es gut, dass eine lückenlose Aufklärung durch den externen Sonderermittler Prof. Matthias Stauch bereits durchgeführt wurde. Die Freistellung der Geschäftsführung und die Einsetzung von Herrn Staatsrat a. D. Lühr als kommissarische Geschäftsführung waren weitere wichtige Schritte, um der verantwortungsvollen Position nachzukommen. Es wird für die Geschäftsführer der BREBAU eine sehr anspruchs- und besonders verantwortungsvolle Aufgabe sein, glaubhafte Schlussfolgerungen aus dem Stauch-Bericht für das operative Geschäft der BREBAU zu ziehen. Nach dem Bericht muss die Praxis der Wohnungsvergabe auch weiterhin bei der BREBAU überprüft, Aufklärungsarbeit geleistet und eine niedrigschwellige Anlaufstelle für Menschen mit Diskriminierungserfahrungen bei der Wohnungssuche geschaffen werden. Nur so kann das verloren gegangene Vertrauen vieler Bremer*innen und die die es werden wollen in die BREBAU gestärkt werden.

Auch wenn der Vorgang um die BREBAU für den Moment aufgeklärt wurde, so bleiben weiterhin die vielen Erlebnisse von Diskriminierung betroffener auf dem Wohnungsmarkt.

Um diskriminierenden und rassistischen Praktiken auf dem Wohnungsmarkt vorzubeugen fordern wir deshalb, dass:
• Immobilienunternehmen, Eigentümer*innengemeinschaften und Hausverwaltungen sich des Themas aktiv annehmen. Der beste Schutz gegen Diskriminierung ist das aktive Hinterfragen der eigenen Strukturen.
• das “Bündnis für Wohnen Bremen”, das aus öffentlichen und privaten Akteur*innen besteht, sich mit der Erstellung einer Selbstverpflichtung/Charta oder einem Compliance-Kodex zu Antirassismus bzw. Antidiskriminierung in ihrem Geschäftsbetrieb verpflichtet. Dabei ist die Einbeziehung von Wohnungsverwaltungsgesellschaften und Makler*innenbüros bzw. deren Fachverbände unerlässlich. Auch wenn die Unterzeichnung von Leitlinien nur einen „Appellcharakter“ hat, ist es ein wichtiger Schritt zur freiwilligen Selbstverpflichtung.
• antirassissitische und kulturelle Sensibilisierung für Hausverwalter*innen und Mitarbeiter*innen in Wohnungsunternehmen – gerade auch auf der Ebene der mittleren Mitarbeiter*innen – durchgeführt wird. (Eine Studie des Bundes zeigt, zumindest in Fokusgruppen in Berlin und Nürnberg, dass die Sensibilisierung der mittleren Mitarbeiter*innenebene entscheidend ist, um Diskriminierung wirklich zu begegnen.) Dazu gehört auch, die Repräsentation von BI*POC auf der höheren bzw. mittleren Mitarbeiter*innenebene zu fördern. Das bedeutet, Bi*PoC gezielt dort einzustellen, bzw. beim Bewerber*innen-Auswahlverfahren zu berücksichtigen und
Diversität zu fördern. Frei nach dem Motto: Bremen ist bunt, die Geschäftsführung muss es noch werden.
• dass die neu geschaffene Landesantidiskriminierungsstelle von Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt Betroffene Menschen unterstützt und über ihre Rechte aufklärt.
• ein ausgeweiteter “Whistleblower”-Schutz für Betroffene und Mitarbeiter*innen geschaffen wird, damit es in Zukunft schneller und leichter möglich ist, verdeckte Strukturen aufzudecken z.B. über ein Anonymes Meldeportal
• Beratungsstellen und Vereine, die z. B. interkulturelles Konfliktmanagement trainieren oder Mediation anbieten gestärkt und deren Angebote ausgebaut werden.
• mehr öffentlich geförderter Wohnungsraum geschaffen wird. Es ist gut und wichtig, dass Bremen sich in den vergangenen Jahren verstärkt auf den Weg gemacht hat und durch die BREBAU und GEWOBA selbst aktiv ist, um erschwingliche Mieten für mehr Bremer*innen zu ermöglichen.
• das Vorhaben, Heterogenität bezogen auf mehrere Merkmale (sozioökonomische Ausstattung, Alter, Bildung, ethnischer Hintergrund, Religion) zum Kriterium der Stadtentwicklung gemacht wird(im Gegensatz zu einer ökonomisch orientierten Aufwertung einzelner Stadtteile) und transparent und reflektiert umgesetzt wird. Auch bei diesem stadtplanerischen Prozess ist es von zentraler Bedeutung BI*PoC, also selbst betroffene Menschen, zu beteiligen.