Linda Neddermann über Corona & Sport, Gewissenskonflikte und gebrochene Sportler*innen-Herzen 22. Oktober 2020 Ich muss da mal was loswerden! Immer mehr Menschen infizieren sich mit Covid-19, der kritische Schwellenwert ist in Bremen längst überstiegen – Bremen ist ein Risikogebiet. Gerade jetzt ist es unerlässlich, sich an die vorgeschriebenen Maßnahmen (Abstand-Hygiene-Alltagsmaske) zu halten. Ich spiele in der Dritten Liga Volleyball beim TV Eiche Horn und frage mich, warum es uns gestattet ist, von Bremen nach Dortmund, Münster, Köln, Osnabrück (und weitere) zu reisen, dort Volleyball zu spielen und uns und unseren Mitmenschen damit einem Ansteckungsrisiko auszusetzen. Überall müssen Menschen verzichten. In jedem Lebensbereich, ob in Schulen, Kitas, Pflegeinrichtungen, in Bussen und Bahnen, im öffentlichen Raum, in Unternehmen, in der Gastronomie usw. werden die Corona-Maßnahmen verschärft. Wir sollen alle, soweit wie möglich, zu Hause bleiben. Das ist gut und richtig so – zum Schutz aller. Und beim Sport? Die Verhältnismäßigkeit ist einfach nicht gegeben! Es liegt in der Natur der Sache, dass wir uns beim Volleyball spielen nicht an den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand halten können. Ebenso ist es nicht möglich, mit einem Mundschutz Sport zu treiben. Ja, wir haben für den Wettkampf-Betrieb ein Hygienekonzept, an das wir uns selbstverständlich halten. Zudem ist es nicht nachgewiesen, dass das sportliche Vereinswesen massiv zu den hohen Infektionszahlen beiträgt. Trotzdem erreichen mich täglich Nachrichten, dass es in anderen Sportmannschaften zu Coronafällen kommt. Deswegen ist die Situation für uns Sportlerinnen sehr schwierig. Denn wir lieben unseren Sport, wollen trainieren, zusammen Spiele bestreiten und gewinnen. Die Trainingseinheiten und der Wettkampf sind für uns als Team, aber auch für jede einzelne von uns mehr als nur ein Hobby. Wir brauchen das – Volleyball ist unsere Passion! ABER… Wir wollen auch unsere gesamtgesellschaftliche Verantwortung ernst nehmen. Heute zählt mehr denn je: #FlattenTheCurve Es ist für jede einzelne Spielerin eine schwierige, individuelle Entscheidung: Keine möchte das Team im Stich lassen, trotzdem gibt es die Sorge vor einer Ansteckung oder einer möglichen Quarantäne, weil eine Mitspielerin aus dem Training/vom Spieltag positiv getestet werden könnte. Jede von uns trägt auch eine persönliche Verantwortung, vor allem im Hinblick auf unsere Familien und unser berufliches Umfeld. Es schlagen zwei Herzen in unserer Brust Der Deutsche Volleyball Verband (DVV) lässt uns so lange weiterspielen, bis von den politischen Akteur*innen bzw. den Behörden offiziell ein Kontaktsportverbot ausgesprochen wird. Sollten wir also ein Spiel „freiwillig“ absagen, könnten uns empfindliche Strafgelder drohen, die für uns bei der sowieso schon angespannten Finanzlage nicht zu stemmen wären. Geschweige denn der sportlichen Konsequenzen: Aufgrund dessen einen Abstieg aus der Dritten Liga in Kauf zu nehmen, kommt für uns nicht in Frage! Ich sehe hier sowohl den DVV als auch die Politik in der Pflicht, für bundeseinheitliche Regeln zu sorgen. Bei dieser Aussage bricht mir mein Sportlerinnen-Herz: Ich halte es schon länger nicht mehr für verantwortbar, bei solch einer Verschlechterung der Infektionszahlen den derzeitigen Trainings- und Spielbetrieb so aufrecht zu erhalten. Denn es geht doch um weitaus mehr als um Mannschaftssport (dessen Wichtigkeit ich in den vorigen Zeilen versucht habe zum Ausdruck zu bringen): Wir versuchen gerade alles, um einen zweiten Lockdown zu verhindern. Schließlich geht es um hohe Güter: um unsere Gesundheit und auch um unsere Freiheit. Also ich persönlich habe lieber ein gebrochenes Sportlerinnen-Herz als von Corona zerstörte Organe oder einen Vater, der auf der Intensivstation beatmet werden muss…. In diesem Sinne: Bleibt alle gesund! Eure Linda