Solidarität und Sicherheit auf Basis des Völkerrechts: Für Frieden in Israel und Gaza

Die Terrorangriffe der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 waren eine – für die israelische Bevölkerung – schmerzhafte und retraumatisierende Zäsur. An diesem Tag wurden 1200 israelische Zivilist*innen ermordet und über 250 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen entführt. Eines muss klar benannt werden: es ist die Agenda der Hamas und ihrer Verbündeten, den Staat Israel und das jüdische Leben in der Region auszulöschen. Das Existenzrecht Israels, das Recht auf Selbstverteidigung sowie der Schutz jüdischen Lebens sind für uns nicht verhandelbar. Aufgrund der deutschen Geschichte und der Verbrechen des Holocaust tragen wir eine besondere Verantwortung, die dauerhafte Sicherheit Israels und seiner Bürger*innen zu gewährleisten.

Nach dem Massaker vom 7. Oktober reagierte die israelische Regierung mit einer militärischen Offensive, die das Ziel verfolgte, die Hamas dauerhaft zu entwaffnen. Angesichts der Zerstörung und der humanitären Lage im Gazastreifen bietet sich inzwischen ein verheerendes Bild. Während sich die Anzahl der Opfer derzeit kaum überprüfen lässt, gehen die Vereinten Nationen von über 60.000 Toten und mehr als 160.000 Verwundeten aus, davon über die Hälfte unter vulnerablen Gruppen wie Kindern, Frauen und alten Menschen.[i]

Das Leid der Zivilbevölkerung, die hohen Opferzahlen und das Ausmaß der Zerstörung der kritischen Infrastruktur in Gaza sind erschütternd. Militärische Offensiven in verschiedenen Regionen Gazas haben 90 Prozent der Bevölkerung zu Binnenvertriebenen gemacht und die zivile Infrastruktur, darunter Krankenhäuser, Schulen und Hochschulen, zum Zusammenbruch gebracht. Neben der fehlenden medizinischen Versorgung bedeutet dies eine dauerhafte Gefährdung palästinensischer Kultur in Gaza durch die Zerstörung ihrer materiellen Grundlagen und beraubt insbesondere eine junge Generation ihrer Bildungs- und Zukunftschancen. Die Verantwortung für diese Tragödie trägt zuallererst die Hamas, die seit Jahrzehnten gezielt die Grenzen zwischen militärischer und ziviler Infrastruktur verwischt, um die Menschen vor Ort als Schutzschilde zu missbrauchen. Ein Vorgehen, das eindeutig gegen das humanitäre Völkerrecht verstößt und das wir strikt verurteilen. Auch Israel hat eine Verantwortung gegenüber der Zivilbevölkerung in Gaza, gerade auch wegen der Rücksichtslosigkeit der Hamas. Israel kommt dieser Verantwortung nicht ausreichend nach.

Nach einigen Wochen der Waffenruhe zu Beginn des Jahres 2025 und dem Scheitern weiterer Verhandlungen um die Freilassung der Geiseln führte die israelische Regierung den Krieg weiter und verhängte eine wochenlange Blockade humanitärer Hilfsgüter nach Gaza. Die folgende Hungersnot betrifft Hunderttausende Menschen. 132.000 Kinder sind aufgrund akuter Mangelernährung vom Tod bedroht.[ii] In mehreren Anordnungen und Gutachten hat der Internationale Gerichtshof (IGH) die Dringlichkeit des Schutzes der Zivilgesellschaft betont. Das undifferenzierte Vorgehen gegen die Bevölkerung in Gaza verurteilen wir nachdrücklich. Zudem ist der Zugang zu unabhängigen Informationen aus dem Gazastreifen stark eingeschränkt. Journalist*innen haben keinen freien Zutritt und viele wurden unter zum Teil noch ungeklärten Umständen getötet.  Das Ausmaß der Zerstörung in Gaza und die gezielte Blockade humanitärer Hilfe macht für uns deutlich, dass die israelische Armee im Verlauf des Krieges den Rahmen des humanitären Völkerrechts verlassen hat und gegen Grundsätze des humanitären Völkerrechts verstößt. Auch wenn die abschließende juristische Beurteilung des Kriegsgeschehend die zuständigen israelischen und internationalen Gerichte wahrscheinlich noch über Jahre beschäftigen wird.
Auch die chaotisch organisierte Wiederaufnahme der Lieferungen hat die prekäre Lage bis heute nicht ausreichend verbessern können. Es ist dringend notwendig, dass die israelische Regierung und die internationalen Hilfsorganisationen gemeinsam zuverlässig für die Grundversorgung der Bevölkerung in Gaza sorgen. Eine Verweigerung der humanitären Grundversorgung kritisieren wir nachdrücklich; sie darf niemals Mittel militärischer Auseinandersetzungen sein.

Nach dem Massaker vom 7. Oktober ist es das legitime Ziel Israels, die Herrschaft der Hamas über Gaza zu brechen und damit die Gefahr einer – von der Hamas angekündigten – Wiederholung zu beseitigen. Aber auch in der israelischen Gesellschaft wird zunehmend massiv die Frage gestellt, ob und wieweit dieses legitime Ziel der Entwaffnung der Hamas noch eine Kriegsführung legitimiert, die das Leben der Geiseln gefährdet und die gesamte Bevölkerung Gazas weiter in eine katastrophale Lage bringt.

Treibende Kraft hinter der humanitären Blockade und der Fortsetzung des Kriegs sind die Rechtsextremisten in der israelischen Regierung. Durch Netanjahus innenpolitische Motivation, insbesondere den Willen zum persönlichen Machterhalt, haben sie weit mehr politisches Gewicht, als ihnen mit Blick auf ihre Größe in der Knesset zukommen würde. Vertreter dieser Parteien, wie die Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir, haben sich in der Vergangenheit wiederholt menschenfeindlich über Palästinenser*innen geäußert und eine dezidiert antiarabische Vision eines „Großisrael“ propagiert, die auch eine Annexion des Westjordanlandes einschließt[iii]; auch Premierminister Netanyahu hat seine Unterstützung für dieses Projekt zum Ausdruck gebracht[iv]. Eine weitere Ausbreitung jüdischer Siedlungen würde eine Befriedung der Region im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung endgültig unmöglich machen. Die kürzlich von der Netanjahu-Regierung auf den Weg gebrachten Beschlüsse, um neue Siedlungen im Westjordanland zu schaffen, und die von Bezalel Smotrich vorgestellten Pläne, zur ausdrücklichen Verhinderung eines palästinensischen Staates mehr als 80% des Westjordanlandes zu annektieren[v], verdeutlichen, dass die amtierende Regierung aktiv gegen eine Zwei-Staaten-Lösung arbeitet. Die im Juli von einer breiten Mehrheit der Knesset getragene Resolution, die eine Annexion des Westjordanlandes fordert[vi], verdeutlicht den Rückhalt dafür auch im Parlament, ohne dabei jedoch Rückschlüsse auf die Bevölkerung zuzulassen. Jede Annexion durch Israel ist völkerrechtswidrig und ist strikt abzulehnen.

Mit der Fortführung des Krieges in Gaza agiert die Regierung um Netanjahu auch gegen die wachsende Kritik aus den Reihen des eigenen Militärs[vii] und der Opposition, sowie gegen einen großen Teil der Zivilgesellschaft,  und die Familien der entführten Geiseln, die zu Zehntausenden gegen den Krieg demonstrieren[viii],  und sich für einen Waffenstillstand im Gazastreifen und die sichere Rückkehr der noch in Gefangenschaft befindlichen Personen[ix] engagieren, zu denen auch mehrere deutsche Staatsbürger*innen gehören.[x]
Wir unterstützen diese Forderungen: Die Hamas muss alle Geiseln freilassen, die noch in ihrer Hand sind. Im Gegenzug muss die israelische Regierung einem Waffenstillstand zustimmen.
Auch im Gazastreifen fanden noch im Herbst 2023 und wieder im März 2025 größere Proteste gegen die Herrschaft der Hamas statt, trotz drohender Gewalt und Repressionen. Es wäre also falsch, die israelischen und palästinensischen Bevölkerungen mit ihren Regierungen gleichzusetzen und Stimmen aus der Zivilgesellschaft zu ignorieren. Dazu gehört auch, dass Deutschland derartige Organisationen durch Finanzierung unterstützt.

Deutschland muss sich in dieser Situation und vor dem Hintergrund seiner historischen Verantwortung klar positionieren: solidarisch mit der Zivilgesellschaft vor Ort, für die Sicherheit Israels, den Schutz der Palästinenser*innen und im Einklang mit einer regelbasierten Weltordnung. Wir respektieren die Entscheidungen des Internationalen Strafgerichtshofs und des internationalen Gerichtshofs in ihrer Rolle bei der Durchsetzung des Völkerrechts, weshalb wir auf die vollumfängliche Umsetzung ihrer Entscheidungen bestehen. Das Handeln der Netanyahu Regierung hat Israel diplomatisch und international isoliert und damit in existenzielle Gefahr gebracht. Deutschland sollte der amtierenden israelischen Regierung im Interesse der langfristigen Sicherheit Israels im direkten diplomatischen Austausch deutliche Kritik äußern und sich entsprechend eng mit unseren europäischen und internationalen Partnern abstimmen. So hat Annalena Baerbock als Außenministerin bereits Anfang 2024 in Gesprächen in Jerusalem den Einsatz von Hunger scharf verurteilt.[xi]

Die Ziele sind die Entwaffnung der Hamas,  die Freilassung der Geiseln, Verbesserung der humanitären Versorgung der Menschen in Gaza sowie ein dauerhafter Waffenstillstand. Gleichzeitig müssen personenbezogene Sanktionen (z. B. gegen die Minister Ben-Gvir und Smotrich) auf den Weg gebracht werden, um zu signalisieren, dass ihre menschenfeindliche Politik und Rhetorik gegenüber der palästinensischen Bevölkerung nicht geduldet wird. Auch die Aussetzung einzelner Kapitel des EU-Assoziierungsabkommens sollte geprüft werden. Deutschland sollte alle Anstrengungen unterstützen und vorantreiben, eine von den arabischen Staaten und der Palästinensische Befreiungsorganisation getragene Nachkriegsordnung in Gaza zu realisieren. Schließlich muss sich auch Israel aus dem Gazastreifen zurückziehen und den Menschen dort eine selbstbestimmte Zukunft ermöglichen. Dabei darf keine Einigung mitgetragen werden, die die Terrororganisation Hamas irgendeine politische Rolle zugesteht. Das würde das Leben der Menschen in der Region zukünftig erneut gefährden und die Sicherheit Israels dauerhaft bedrohen.

Friedrich Merz hat angekündigt, dass Deutschland keine Rüstungsgüter mehr nach Israel liefern wird, die im Gazastreifen eingesetzt werden könnten. Während diese Entscheidung nachvollziehbare Gründe hat und im Grundsatz von uns unterstützt wird, bleibt eine trennscharfe Abgrenzung der Rüstungsgüter schwierig und muss im Kontext der Bedrohung Israels durch eine Vielzahl an Akteuren in der Region und der Bedeutung der Verteidigungsfähigkeit abgewogen werden. Diese Akteure umfassen neben der Hamas auch den Iran, die Hisbollah im Libanon und Syrien sowie die Huthi im Jemen. Die Verteidigungsfähigkeit Israels darf von einer Einschränkung der Waffenlieferungen nicht beeinträchtigt werden. Israel musste sich und muss sich weiterhin gegen die vom Iran gesteuerte und finanzierte „Achse des Widerstandes“ verteidigen, gegen Angriffe der Hisbollah, der Huthi und des Iran. Ohne Beendigung dieser Bedrohungen kann es keinen dauerhaften Frieden im Nahen Osten geben.

Seit Oktober 2023 hat Deutschland über 300 Millionen Euro an humanitärer Hilfe für die Menschen in Gaza bereitgestellt. Diese Unterstützung ist sehr wichtig und muss dauerhaft und planbar aufrechterhalten bleiben. Deutschland muss die humanitäre Hilfe in Gaza nicht nur finanziell unterstützen, sondern auch politischen Druck für den ungehinderten Zugang zu Hilfsgütern ausüben.

In den vergangenen Monaten haben mehrere Staaten angekündigt, einen palästinensischen Staat anerkennen zu wollen, einige haben diesen Schritt bereits vollzogen. Solange die Hamas die politische Führung in Gaza innehat, lehnen wir diese Anerkennung ab. Klar ist, dass es einen geordneten Prozess zur unabhängigen und friedlichen Verwaltung der palästinensischen Gebiete braucht, in dessen Rahmen eine Anerkennung möglich wird.

Als Bündnis90/Die Grünen Bremen treten wir für eine friedliche und gerechte Lösung im Nahostkonflikt ein. Die Erklärung von New York, die auch von mehreren arabischen Staaten unterstützt wird, zeichnet die notwendigen Schritte in diese Richtung vor. Dringend erforderlich sind: ein sofortiger Waffenstillstand, die Freilassung aller Geiseln, ein dauerhaft uneingeschränkter Zugang für humanitäre Hilfe, die Entwaffnung und Entmachtung der Hamas, der Wiederaufbau ziviler Infrastruktur sowie die Rückkehr zu ernsthaften Friedensgesprächen mit dem Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung.

Der Verlauf des Krieges und seine Folgen für Gaza und Israel bewegen sehr viele Menschen in unserem Bundesland. In Bremen und Bremerhaven leben zahlreiche Menschen, die persönliche Beziehungen in die Region haben und direkt von den Kriegsfolgen betroffen sind. Meinungsäußerungen und Demonstrationen, die auf das Leid der israelischen und palästinensischen Zivilbevölkerungen aufmerksam machen, finden ihre Grenze dort, wo es zu Antisemitismus, Rassismus und Gewalt kommt. Jüdinnen und Juden sollen im Land Bremen sicher leben können. Diskriminierung von Jüdinnen und Juden und antiisraelischem Antisemitismus stellen wir uns als gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ebenso entgegen wie anti-muslimischem Rassismus und allen anderen rassistischen Verallgemeinerungen. Wir verurteilen Boykottaufrufe und Boykottaktionen gegen Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Sportler*innen, nur weil sie Jüdinnen und Juden sind.

Im Rahmen der Möglichkeiten unseres Bundeslandes und seiner beiden Kommunen Bremen und Bremerhaven wollen wir:

  • die Aufnahme von Kindern und Familien aus Gaza und Israel unterstützen, die dringend psychologische oder medizinische Hilfe benötigen. Hier ist die Bundesregierung in der Verantwortung, Strukturen zu schaffen, um eine sichere Einreise zu ermöglichen,
  • Zivilgesellschaftlicher Organisationen unterstützen, die sich der Menschenrechts- und Friedensarbeit im Kontext von Israel und den palästinensischen Gebieten widmen,
  • Effektive Maßnahmen gegen Antisemitismus sowie antimuslimischen Rassismus fördern,
  • Schulische Formate entwickeln und fördern (z. B. in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung), um differenzierte Perspektiven zum Nahostkonflikt zu vermitteln und antisemitischen wie antimuslimischen Vorurteilen vorzubeugen.

[i] https://www.ochaopt.org/content/reported-impact-snapshot-gaza-strip-3-september-2025

[ii] https://de.wfp.org/krise/in/gaza

[iii] https://www.spiegel.de/ausland/israel-usa-empoeren-sich-ueber-aufruehrerische-gaza-aeusserungen-von-itamar-ben-gvir-a-b9755fe9-b913-4546-8dfa-9970c5ad530f

[iv] https://www.timesofisrael.com/liveblog_entry/netanyahu-says-hes-on-a-historic-and-spiritual-mission-endorses-vision-of-greater-israel/

[v] https://www.spiegel.de/ausland/israel-finanzminister-bezalel-smotrich-ruft-zur-annexion-von-82-prozent-des-westjordanlands-auf-a-d6422c13-e909-4593-8d7b-3d56dc620567

[vi] https://www.jpost.com/israel-news/article-862007

[vii] https://www.nytimes.com/2024/06/20/world/middleeast/netanyahu-israel-idf-war.html

[viii] https://www.spiegel.de/ausland/israel-gaza-krieg-zigtausende-demonstrieren-in-jerusalem-vor-netanyahu-residenz-fuer-kriegsende-a-ed205fcc-e0d5-4fb9-8df8-901e7775b8ce

[ix] https://www.zeit.de/politik/ausland/2025-08/nahost-israel-krieg-gazastreifen-geiseln-waffenstillstand-demonstrationen

[x] https://www.juedische-allgemeine.de/israel/nennt-ihre-namen/

[xi] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/israel-annalena-baerbock-und-benjamin-netanjahu-geraten-heftig-aneinander-a-90e5c7cf-7eb3-4f49-8ef5-0cf0d2854d1b