Philipp Bruck zur Krise der Grünen

Ich meine, grüne Politik muss eigenständig und unterscheidbar bleiben. Die Übernahme falscher Zuschreibungen, ein Weg in die programmatische „Mitte“ oder übertriebene Kompromissbereitschaft führen uns nicht aus der Krise. Glaubwürdigkeit gewinnen wir durch ein ambitioniertes Programm und eine klare Haltung zurück, die wir auch bei notwendigen Kompromissen nicht verstecken.

Zur Ausgangslage zwei populäre Thesen zur Frage, wo wir inhaltlich Wähler*innen verlieren, hier am Beispiel der Klimapolitik.

  • Die erste These: Unsere frühere Kernklientel wählt uns teilweise nicht mehr, weil wir zu viele Kompromisse mitmachen und scheinbar nicht mehr klar für unser Kernthema stehen. Gut erkennbar ist das am dramatischen Verlust bei den Kompetenzzuschreibungen für Klima-/Umweltschutz bei den letzten Wahlen. In Brandenburg haben nun mehr Menschen angegeben, „keiner Partei“ zuzutrauen, eine gute Klima-/Umweltpolitik zu machen (25 %), als den Grünen (22 % – nach 47 % vor fünf Jahren). Von den immerhin noch 9 % der Wähler*innen, für die das Thema Klimaschutz die wichtigste Rolle bei der Wahlentscheidung gespielt hat, hat uns nicht mal die Hälfte gewählt.
  • Die zweite These lautet: Die „Mitte“ wählt uns nicht (mehr), weil die Story der politischen Gegner von der CDU/CSU über die BILD bis zum Kreml verfängt, wir wären irgendwie gefährlich, bevormundend, usw. Diese Story ist genauso erfolgreich wie absurd. Denn aus Angst vor dieser Zuschreibung geben wir uns in der Bundespartei ja seit Jahren größte Mühe, um als maximal pragmatisch und bloß nicht bevormundend zu wirken.

Dieses Dilemma – den einen nicht radikal genug, den anderen vermeintlich zu radikal – wird in der Regierung noch verstärkt. Die Breite unserer Partei kann in der Opposition gut abgebildet werden, wenn unterschiedliche Menschen unterschiedliche Positionen und Hoffnungen bedienen können. Aber in der Regierung ist das weitaus schwieriger, wenn Hunderte reale Entscheidungen als Verrat entweder an Idealen oder am Pragmatismus bewertet werden können.

Vier häufig genannte Antworten für dieses Dilemma halte ich für fragwürdig bis kontraproduktiv:

  • „Handwerkliche Fehler vermeiden“: So richtig das Ziel ist – wer glaubt, das Dilemma sei dadurch zu lösen, und in den Nachwahldiskussionen das „Heizungsgesetz“ geißelt, verfehlt das Ziel. Gerade Roberts Wirtschaftsministerium hat in kürzester Zeit unglaublich viel umgesetzt, eine schwere Energiekrise abgewendet und die Energiewende extrem beschleunigt. Dabei wurden auch Fehler gemacht, mit plötzlichen Förderprogrammstopps oder dem ersten Entwurf des weiterhin richtigen und wichtigen Heizungsgesetzes. Aber wer umsetzt, macht auch Fehler. Ein sicherer Weg zu weniger Fehlern wäre nur: weniger Umsetzen. Aus Fehlern gilt es also zu lernen, aber wir sollten sie nicht schärfstens verteufeln.
  • „Mehr Kompromissbereitschaft“: So schmerzhaft Kompromisse auch manchmal sind, sie gehören zum Wesen der Demokratie und sind Voraussetzung für Regierungsbeteiligungen, die eine Partei, die etwas verändern will, immer anstreben muss. Die Frage ist daher nicht ob, sondern bis zu welchem Grad Kompromisse sinnvoll sind. Argumente für weniger Kompromisse lassen sich leicht finden, beispielsweise bei der Novelle des Klimaschutzgesetzes – beurteilen lässt es sich nur schwer. Was dagegen besser gewesen wäre, hätten wir mehr Kompromisse gemacht, leuchtet mir nicht ein. Politik lebt in entscheidenden Momenten auch von Härte und Durchsetzungswillen. Das gilt für die Ampel, aber das brauchen wir auch in Bremen, wo die Versuche nicht aufhören, die starken Klima-Beschlüsse der letzten Legislatur wieder zu kippen.
  • Neben dem Kompromiss selbst ist auch die Kommunikation entscheidend: Wir müssen, wo Kompromisse nötig sind, unsere originäre Position trotzdem sichtbar machen. Und erklären, weshalb mehr mit den Koalitionspartnern nicht möglich war – statt jeden bitteren Kompromiss noch als großen Erfolg verkaufen zu wollen.

  • „Mehr Pragmatismus“: Diese Forderung wirkt unschädlich, wer hat schon was gegen Pragmatismus? Aber wenn Grüne das fordern, dann meist als Antwort auf den populären Vorwurf, wir Grünen wären „ideologisch“. Dieser Vorwurf meint in der Regel, wir würden entgegen der Vernunft, entgegen besserer Argumente grüne Ziele vertreten, beliebt z. B. beim Thema Atomenergie. Ich halte diesen Vorwurf in fast allen Fällen für eine falsche, populistische Zuschreibung. Wir Grünen wägen Argumente ab und schrecken nicht davor zurück, Positionen zu korrigieren. Wer nun „mehr Pragmatismus“ fordert, macht sich die falsche Zuschreibung der „Ideologie“ zu eigen. Diesen Fehler dürfen wir nicht machen.
  • „Programmatisch in die Mitte“: Wenn wir den irrigen Vorwürfen als „bevormundende Verbotspartei“ so begegnen wollen, riskieren wir weiter die Unterstützung unserer Kernklientel. Aber würde es überhaupt etwas an den Zuschreibungen ändern, die ja schon heute nichts mit der Realität zu tun haben?
  • Dieser Weg wäre außerdem nur durch die Aufgabe klimapolitischer Ambitionen denkbar, denn jede ernstzunehmende Klimapolitik wird immer irgendwie das Leben oder wenigstens die Gewohnheiten der Menschen verändern müssen – sonst kann sie nur scheitern. Diesen Weg in die „Mitte“ sind wir schon gefährlich weit gegangen, etwa bei der Agar- und Ernährungswende mit sehr zurückhaltendem Programm und noch zurückhaltenderem Regierungshandeln.

Ich mache ich mir keine Illusionen, dass ein Weg mit ambitionierterem Programm es einfacher hätte. Stärkere Maßnahmen würden andere Wähler*innen verprellen, und eine Regierungsbeteiligung verlangt trotzdem immer schmerzhafte Kompromisse, die man nie allesamt zufriedenstellend wird erklären können.

Es ist aber auch nicht entscheidend, welcher Weg einfacher ist oder bessere Wahlergebnisse produziert. Für mich geht es darum, in welcher Partei ich sein möchte: Ich möchte, dass es im Parteienspektrum eine (angesichts der ökologischen Krisen angemessen) radikal ökologische Partei gibt. Angesichts von den 9 % in Brandenburg, für die Klimaschutz die größte Rolle spielt, und den 25 %, die das gar keiner Partei mehr zutrauen, bin ich mit diesem Wunsch nicht alleine. Dazu passen auch die guten Ergebnisse kleinerer Parteien aus einem (mehr oder weniger) ökologisch-progressiven Spektrum bei der Europawahl wie Tierschutzpartei oder Volt, gerade bei jüngeren Wähler*innen.

Ich würde gerne einen Versuch unternehmen, diese Wähler*innen zurückzugewinnen – für die Grünen. Die Abspaltung einiger Vorstandsmitglieder der Grünen Jugend halte ich für falsch. Wir brauchen keine weitere „Bewegung“, sondern Grüne, die Glaubwürdigkeit und Kompetenz mit Regierungserfahrung kombinieren und damit verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Ich bin überzeugt, dass das sowohl in der Klimapolitik als auch in anderen Politikfeldern gelingen kann, mit klarer Haltung und ambitioniertem Programm.

Die „Meinung am Freitag“ (MaF) ist ein Meinungsformat der GRÜNEN im Land Bremen. Sie hat den Zweck, fernab von Veranstaltungen eine Kommentierung politischer, gesellschaftlicher oder parteiinterner Ereignisse zu ermöglichen. Die Beiträge geben stets ausschließlich die persönliche Meinung der Autor*in wieder, nicht die der gesamten Partei.

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