Ich meine, dass der Diskurs über eine Dienst- und/oder Wehrpfl icht zu leichtfertig geführt, und dem massiven Einschnitt, der dahinter steht, nicht gerecht wird. Wer für eine Dienstpflicht argumentiert, sollte es sich nicht zu leicht machen!
Unser Land steht vor großen Herausforderungen: die europäische und transatlantische Sicherheitsarchitektur schwankt, die Krisenresilienz ist schwach ausgebaut und in vielen sozialen Bereichen wie der Pflege herrscht Personalnotstand. So drängend diese Probleme sind, es ist erschreckend wie leichtfertig der Zwang einer Dienstpflicht als angemessene Lösung im Diskurs gehandhabt wird, um darüber personelle, aber auch strukturelle und finanzielle Lücken der letzten Jahrzehnte zu schließen. Das geringe Verständnis dafür, welch massive Einschnitte eine Dienstpflicht in eine selbstbestimmte Lebensplanung der Bürger*innen darstellt, aber auch, auf welch unsensible Weise über das (Pflicht-)Engagement der Bürger*innen gesprochen wird, irritiert.
Oft mischt sich ein wohlfeiler Paternalismus in den Diskurs, getarnt als Prep-Talk, welcher den Zwang mit trivialer Solidaritätsrhetorik schönredet. So wird der Pflichtdienst legitimiert, indem persönliche Vorzüge, die sich durch ihn ergeben, angeführt werden: der eigene Horizont werde ja erweitert, auch der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt, ja der Zwang könne sogar Echokammern aufbrechen und außerdem habe der Zivildienst in der Vergangenheit vielen “ja auch sehr gut getan”. Das möchte ich nicht anzweifeln – wenngleich ich nicht glaube, dass ein Pflichtdienst das vorbildlich solidarische Subjekt hervorbringen, und wieder in die Gesellschaft entlassen wird -, doch diese Trivialität wird dem Einschnitt eines Pflichtdienstes nicht gerecht.
Wollen wir wirklich das Staatsbild eines paternalistischen Mentors bedienen, der uns zu unserem persönlichen Glück und unserer charakterlichen Weiterbildung zwingt? Mehr noch: wollen wir das Bild einer Bürger*innenschaft bedienen, die erst zu ihrem Engagement und dem Aufeinander-Zugehen gezwungen werden muss? Diese Vorstellungen von Staat und Zivilbevölkerung wirken zurecht auf viele Menschen abgehoben und übergriffig. Insbesondere gegenüber den Millionen, die täglich schuften, um am Ende des Monats gerade noch über die Runden zu kommen, während der Wohlstand der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt immer ungleicher verteilt ist.
Auch junge Menschen dürfen zurecht den Kopf schütteln. Bereits während der Corona-Pandemie waren Jugendliche und junge Erwachsene solidarisch, haben in der transformativsten Phase ihrer Entwicklung einschneidend auf soziale Kontakte verzichtet und damit mehr als nur ein Jahr Dienst an der Gesellschaft geleistet. Wer diesen jungen Menschen jetzt einen Pflichtdienst vorsetzt, darf sich nicht wundern, wenn sie einem bei der nächsten Wahl den Rücken kehren. Das kann man anders sehen und natürlich sollte Wahlstrategie nie das oberste Leitprinzip der politischen Debatte sein, doch dass der Diskurs über einen euphemistischen “Freiheitsdienst” ein Potenzial zur strategischen Selbstdemontage hat, sollte für uns Grüne offensichtlich sein.
Die Dienstpflicht adressiert keine Bedürfnisse junger Menschen nach Selbstbestimmung, Engagement aus freien Stücken, fairen Arbeitsbedingungen aber auch der Teilhabe an Wohlstand. Die Dienstpflicht löst auch nicht die Probleme schlechter Arbeitsbedingungen in der Pflege, behebt nicht die fehlenden Investitionen in unsere Sicherheitsinfrastruktur sowie die Defizite in Aufklärung, Informationsangeboten und kommunalen Strukturen, um in Krisen resilient und solidarisch agieren zu können und löst auch keine Probleme in den Strukturen, im Beschaffungswesen oder der generellen Organisation der Bundeswehr. Die Angst besteht aber, dass all diese Defizite im politischen Diskurs alsbald vernachlässigt werden, wenn über die Dienstpflicht Personal angespült wird, um hier und da Löcher zu stopfen.
Zuletzt ist vor dem Hintergrund der militärischen Bedrohungen darauf zu verweisen, was auch eine Dienstpflicht im Wehrbereich akut bedeuten kann: im Zweifelsfall reden wir hier über eine Pflicht zu Töten und zu Sterben. Es verbietet sich, hier trivialisierende Vergleiche mit anderen Pflichten zu ziehen, etwa der Pflicht, Steuern zu zahlen oder zur Schule zu gehen.
Machen wir es uns nicht einfach und laufen den ideologischen Faulheiten der Union hinterher. Geben wir uns nicht wohlfeiler Solidaritätsrhetorik hin, die ein befremdliches Bild von Staat und Bürger*innenschaft mit sich trägt. Und verrennen wir uns nicht in euphemistischen “Freiheits-”zwängen, um dem Modell einer Dienstpflicht einen grünen Anstrich zu geben. Das ist weder den dringenden Problemen unserer Zeit angemessen, noch den Menschen dieses Landes gegenüber.
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