Florian Pfeffer: „Die beste Idee, die wir je hatten.“ 7. Mai 2020 Die beste Idee, die wir je hatten. Eigentlich war Europa bei seiner Gründung keine naheliegende Idee. Nach zwei Weltkriegen mit Millionen von Toten, der Schoah und den vielen Verbrechen, die von Nazi-Deutschland verübt worden sind, wäre es nachvollziehbar gewesen, die Menschen in Europa hätten sich von Deutschland abgewandt. Dass es anders gekommen ist, grenzt für mich bis heute noch immer an ein Wunder, das ich mit Dankbarkeit annehme. Europa ist die beste Idee, die Europa je hatte, stand auf meinem Lieblings-Plakat der Grünen zur letzten Europawahl. Die Grundlage für diese Idee war die Tatsache, dass wir als Europäer gemeinsam aus der größten Katastrophe des letzten Jahrhunderts gelernt haben. Europa hat nicht einfach so weiter gemacht wie vorher, sondern hat etwas Neues versucht, etwas unerhörtes und in dieser Form auf unserem Kontinent noch nie dagewesenes. Heute stehen wir vor einer neuen Zäsur. Es ist schlimm genug, was die Corona-Pandemie in Familien, Altenheimen, Schulen, in der Wirtschaft und in unseren Sozialsystemen auslöst. Noch schlimmer aber wäre es, wenn wir nichts daraus lernen würden. Wenn wir keine Schlüsse ziehen und einfach wieder dahin zurückkehren würden, wo wir waren. Ich habe vier Vorschläge, was sich von Corona für die Zukunft lernen lässt. 1: Globalisierung – aber richtig Die Pandemie zeigt uns, wie fragil und gleichzeitig problemverstärkend die weltweite Vernetzung unserer sozialen und wirtschaftlichen Systeme ist. Andererseits können wir die Krise nur bewältigen, wenn wir zusammenarbeiten und kooperieren. Nationale oder regionale Alleingänge, Abschottung und Egoismus mag für einen kurzen Moment ein Gefühl von Erleichterung und Kontrolle erzeugen. Ein Virus und die Klimaerwärmung kennen aber keine Grenzen. Die Corona-Krise zeigt, dass alles auf unserem Planeten miteinander verbunden ist. Wir tragen eine globale Verantwortung, der wir vor Ort gerecht werden müssen. Wir müssen die Globalisierung neu erfinden. Alles nochmal von vorne – diesmal aber richtig. 2: Wertschöpfung neu definieren Wir merken heute, dass wichtige Berufe und schlechte Bezahlung nicht zusammenpassen. Was ist uns wie viel wert? Was verdient unsere Anerkennung und wie wollen wir „Wert“messen? Welche Werte wollen wir schöpfen und wie definieren wir den Wohlstand einer Gesellschaft? Heute ist eine Gesellschaft reich, die über ein funktionierendes Gesundheitssystem verfügt, über genügend Intensivbetten, Labore sowie gut ausgebildete und motivierte Menschen, die sich in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Schulen und Sozialeinrichtungen um andere kümmern. Länder, die ein gutes Sozialsystem haben, sodass nicht sofort Millionen von Menschen in die Armut stürzen, sind heute wohlhabend. Es ist unbestritten, dass man für solchen Wohlstand Geld und eine funktionierende Wirtschaft benötigt. Wozu aber setzen wir die Ressourcen ein, die wir uns erarbeiten? In welche gesellschaftlichen Projekte wollen wir investieren? Was macht uns wirklich reich? 3: Umweltschutz ist die Voraussetzung für Wirtschaft Wir haben Jahrzehnte damit verbracht, Ökologie und Wirtschaft gegeneinander auszuspielen.Retten wir Jobs oder ein Naturschutzgebiet? Heute sehen wir, wie eine für menschliches Leben bedrohliche Umwelt unsere Wirtschaft in kürzester Zeit zum Erliegen bringt. Produktionen werden stillgelegt, Lieferketten zerbrechen und Existenzen sind bedroht. Eine florierende Wirtschaft, sichere Jobs, Alterssicherung, soziale Standards … all das basiert auf einer lebenswerten und intakten Umwelt. Wirtschaftliche Prosperität ist die Folge von ökologischem Handeln – und nicht seine Gegenspielerin. 4: Weiter denken als bis zum nächsten Wahltermin Wie kann es sein, dass ausgearbeitete Pandemiepläne ungelesen in Schubläden liegen?Wissenschaftler haben schon lange vor einem Ereignis wie der aktuellen Corona-Pandemie gewarnt. Allerdings, so die damalige Prognose, stelle sich nicht die Frage, ob sie kommt, sondern lediglich wann. Es ist richtig, dass sich Politik in regelmäßigen Wahlen rechtfertigen muss. Politik sollte sich aber nicht an solchen Daten orientieren, sondern weiter denken. Die Klima-Krise ist ebenso wie die Corona-Pandemie eine Krise mit Ansage. Sie ist lösbar, wenn wir heute vorausschauend agieren. Gute Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsysteme, eine an nachhaltigen Prinzipien orientierte Wirtschaft, faire Lieferketten und Produktionsweisen fallen nicht vom Himmel, sondern müssen in einem Marathon-Lauf entwickelt werden. Es kann sein, dass meine Generation nicht mehr die Früchte einer solchen vorsorgenden Politik ernten wird, weil ihre positiven Effekte weiter in der Zukunft liegen als meine Lebensspanne reichen wird. Kluge Politik wahrt aber auch die Interessen der Menschen, die heute noch gar nicht geboren sind. Das war bei den Anti-Atomkraft-Protesten des letzten Jahrhunderts schon so und das gilt auch für Klimapolitik. Kooperation, Großzügigkeit, Weitsicht und der gemeinsame Wille, etwas Neues zu versuchen: es liegt auf der Hand, dass der Europäische Gründungsgedanke heute so gefragt ist, wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Ich muss allerdings zugeben, dass ich im März überrascht war, wie schnell sich die Europäischen Länder auf sich selbst zurückgezogen haben. Gemeinsame Corona-Bonds liegen in weiter Ferne und so besteht die Gefahr, dass sich in Ländern wie Italien bei den kommenden Wahlen die Nationalisten und Europafeinde durchsetzen werden. Umso wichtiger ist es, dass wir heute mehr Europa wagen. Wir sollten uns in Europa darauf besinnen, wie wir begonnen haben – um den nächsten großen Sprung zu machen.