Digitale Plattformen regulieren!

1. Die Erfindung und Entwicklung des Internets war ein großes Versprechen: Erweiterung des Wissens, offene Diskurse, partizipative Öffentlichkeit, Vielfalt der Stimmen, jede und jeder kann das Wort ergreifen und Gehör finden – große Ausweitung der Möglichkeiten demokratischer Teilhabe und freier Kommunikation. Dieses Versprechen gilt immer noch für viele und seine Umsetzung muss weiterhin das Ziel bleiben.

Aber die Realität ist inzwischen eine andere: Wenige international organisierte Tech-Plattformen bestimmen die Regeln, wessen Worte wann, wie und bei wem ankommen; die Macht ihrer Algorithmen fördert systematisch Desinformation, Diskriminierung, Hassrede und Polarisierung der Gesellschaften. Das Internet ist inzwischen monopolistisch verzerrt, voll von grobem Unfug, gefährlichem Halbwissen und massiver politischer Einflussnahme, die das Vertrauen in die Demokratie untergraben, faktenbasierte Konsensbildung erschweren und unser Gemeinwesen destabilisieren.

Vor allem die neue Wucht der Lügen, die Desinformationen sind Brandbeschleuniger für all die anderen Krisen, macht sie wahrscheinlicher und gefährlicher. Der Siegeszug der von Tech-Oligarchen kontrollierten sozialen Medien ist ein Brandbeschleuniger für die Desinformation. Abschied von den Fakten aber gefährdet die Grundlagen der Demokratie.

Die großen Fünf (GAFAM: also Google, Amazon, Facebook/Meta, Apple und Microsoft), dazu X und tiktok, sind dabei den Regierungen in den USA und China verpflichtet, die auch darüber ihre autoritäre politische Agenda verfolgen. Dabei verdienen die Plattformen sehr großes Geld – mit unserer Aufmerksamkeit und mit unseren Daten. Sie wissen inzwischen mehr über uns als wir selbst und nehmen massiv Einfluss auf unser Verhalten, mit teils erheblichen negativen Folgen.

2. Unsere Verfassung verpflichtet den Staat, Rahmenbedingungen zu schaffen und zu erhalten, unter denen sich Meinungsfreiheit, Medienvielfalt und gesellschaftliche Teilhabe wirksam entfalten können. Eine funktionierende Öffentlichkeit ist eine Grundbedingung für Demokratie und Rechtstaat. Dafür ist das traditionelle Medien- und Rundfunkrecht ausgebildet worden, jetzt muss Entsprechendes im digitalen Raum geschaffen worden. Die gegenwärtige Ballung von Meinungsmacht ist bereits verfassungswidrig.

Die Macht der Plattformen erscheint inzwischen bereits unangreifbar, weil durch millionenfache tägliche Nutzung bestätigt und gefestigt. Aber noch ist Zeit für politisches Handeln, das demokratische Souveränität über den öffentlichen Raum Schritt für Schritt zurückholt. Aber es ist höchste Zeit!

3. Die Plattformen, die als Oligopole inzwischen zentrale Schnittstellen der öffentlichen Kommunikation beherrschen, müssen reguliert werden. Entscheidend sind dabei zwei Grundsätze. Wer Inhalte verbreitet, muss auch die Verantwortung dafür übernehmen. Und: Was in der analogen Welt, etwa bei den traditionellen Medien von Presse und Rundfunk, illegal ist, muss auch im Netz illegal sein. Die Normen, die etablierte Medien bei Haftung, Verantwortung und Transparenz erfüllen müssen, müssen auch bei den digitalen Medien gelten.

Die Plattformen sind keine neutralen Vermittler von Informationen und Meinungen, sondern sie bieten von ihnen strukturierte Inhalte an. Die Architektur der Plattformen, vor allem ihre Algorithmen, strukturieren, entscheiden, welche Inhalte sichtbar, welche zurückgedrängt werden. Sie machen direkte und massive partikulare Einflussnahmen möglich, auch bei politischen Entscheidungen wie Wahlen (Beispiel die Wahl in Rumänien). Deshalb: Das Haftungsprivileg der Plattformen muss abgeschafft werden.

4. Diesen Schritt gehen die ersten großen Regulierungen durch die EU – vor allem DSA (Digital Service Act) und DMA (Digital Market Act) – noch nicht. Aber sie formulieren bereits Anforderungen an Transparenz und Kontrollpflichten für die Plattformen. Es kommt jetzt darauf an, dass diese Regeln ambitioniert um- und durchgesetzt werden, wie aktuell bei Verstößen gegen die Schutzverpflichtungen gegenüber Minderjährigen. Vor allem die Algorithmen der Plattformen müssen dabei auf den Prüfstand. Keineswegs darf die Regulierung der Plattformen als Verhandlungsmasse in Handelsstreitigkeit mit den USA behandelt und Abstriche gemacht werden.

Allerdings ist fraglich, ob die Übertragung der Pflicht zu inhaltlicher Kontrolle an die Plattformen der richtige Weg ist – sie funktioniert bisher nur mangelhaft, und die Plattformen schränken sie selbst zunehmend ein. Eine bessere Alternative wäre die Einrichtung einer parlamentarisch abgesicherten, unabhängigen europäischen Aufsichtsstruktur, nach den Grundsätzen der traditionellen Medienaufsicht.

Sie auf den digitalen Raum anzuwenden, ist eine große Herausforderung, und die Plattformen werden alle Versuche als „Zensur“ kritisieren, um ihre eigene Macht zu sichern. Es geht aber nicht darum, Meinungen zu unterdrücken, sondern im Gegenteil einen öffentlichen Raum für Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit wiederherzustellen, auch für die Freiheit der Schwächeren – und gegen die Anmaßungen derjenigen, die sich mit dem Lautesten, Krassesten, Brutalsten durchsetzen wollen.

Wir erwarten, dass der Senat der Freien Hansestadt Bremen diese Ziele bei den beginnenden Beratungen über einen Digitale-Medien-Staatsvertrag von Bund und Ländern vertritt.

5. Die Bildung von Oligopolen im Netz hat auch schwerwiegende wirtschaftliche Folgen. Die notwendige Vielfalt schwindet, die großen Netzkonzerne ziehen den Großteil des digitalen Verkehrs an sich, große Teile des Internets gleichen eher einem Datenfriedhof. Die Hälfte des Werbeumsatzes in Deutschland geht inzwischen an drei große Unternehmen.

Die traditionellen Medien, vor allem die Printmedien, schrumpfen, die Pluralität der Medien wird Schritt für Schritt durch eine monopolistische Ordnung ersetzt, die im Gegensatz zu den Prinzipen unserer demokratischen Verfassung steht. Der Teufelskreis von zunehmender Digitalisierung, Monopolbildung, algorithmischer Beschleunigung von Hass, Hetze, Häme, populistischen Parteien und Schwächung der Qualitätsmedien wird sich mit dem Einsatz von generativer KI durch die Plattformen eher noch beschleunigen.

Die Erhebung einer Digitalsteuer von den Plattformen ist ein richtiges und legitimes Vorhaben. Die Einnahmen sollen vor allem zur Förderung lokaler und regionaler Medien eingesetzt werden, zur Wahrung der Medienvielfalt. 

Die Aufsicht und Kontrolle durch das Kartellrecht muss sich auch auf die Plattformen erstrecken. In Anbetracht der monopolartigen Stellung auf Werbemärkten muss ernsthaft die Zerschlagung von Google geprüft werden.

6. Ein Teil des Problems sind wir, fast alle. Wir stecken fest in den großen Plattformen, dorthin haben wir unseren Austausch usw. ausgelagert, nutzen die so genannten sozialen Medien usw. Wir nutzen Plattformen ausländischer Tech-Oligarchen, deren Regeln wir nicht mitentscheiden konnten, deren Algorithmen wir nicht kennen und zu deren Geschäftsprinzipien es zu gehören scheint, die Gesetze der Gastgeberländer möglichst zu ignorieren. Und wir liefern kostenlos die Daten, die sie zu Geld machen.

Die Nutzung dieser Plattformen nimmt inzwischen einen großen Raum im Leben vieler Menschen ein, sie beruht auf persönlichen Entscheidungen, in die sich die Politik nicht einmischen will. Eine Ausnahme ist der besondere Schutz von Kindern. 

Aber wir können die Gefährdungen für die demokratische Öffentlichkeit deutlicher zur Sprache bringen. Und wir sollten Alternativen unterstützen und fördern. Etwa die Idee einer öffentlich-rechtlichen Social Media-Plattform oder andere Initiativen, die für eine digitale europäische Infrastruktur für Information und Kommunikation eintreten, die Zugang zu vertrauenswürdigen Informations- und datenschutzsicheren und rechtssicheren Kommunikationsräumen ermöglicht. Das wäre auch ein Beitrag für die digitale Souveränität Europas.

Und wir sollten, durchaus mit politischen Argumenten, uns darüber informieren, welche Programme es bereits heute als Alternativen gibt, die den demokratischen Ansprüchen von Transparenz und Gemeinwohlorientierung genügen. Welche Programme die Institutionen des Staates nutzen, darf und muss Gegenstand politischer Abwägungen sein.