I.
Die Gesellschaft trägt eine grundlegende Verantwortung, die körperliche, emotionale und intellektuelle Entwicklung von Kindern und jungen Menschen zu schützen und zu fördern. Dies geschieht durch Pflichten wie die medizinische Vorsorge und die Schulpflicht, durch Angebote wie Sport und Kultur, aber dort, wo es zwingend erforderlich ist, auch durch Verbote – etwa beim Konsum von Alkohol und Drogen oder bei bestimmten Werbe- und Bildinhalten im Rahmen des Jugendschutzgesetzes. Gerade weil junge Menschen in den unterschiedlichen Phasen ihrer Entwicklung besonders verwundbar sind, ist es eine zentrale Aufgabe von Staat und Gesellschaft, ihre Fähigkeiten zu stärken und sie vor Gefährdungen zu bewahren.
II.
Diese besondere Schutzverpflichtung gilt auch für die Nutzung der neuen digitalen Instrumente und Möglichkeiten durch Kinder und junge Menschen. Studien belegen, dass intensive Smartphone- und Social-Media- Nutzung negative Effekte auf Konzentration, Sprachentwicklung, Lernleistungen und das seelische Wohlbefinden haben kann. Auch das soziale Miteinander in der Schule leidet, wenn digitale Medien unreflektiert und ohne klare Regeln genutzt werden. Deshalb ist es notwendig, Kindern und Jugendlichen klare Grenzen zu setzen und den schulischen Lernraum bewusst frei von dauerhaften digitalen Ablenkungen zu gestalten. Eine klare Regelung zur Smartphone- Nutzung“ schafft hierfür zunächst einen verlässlichen Rahmen:: Lernzeiten werden entlastet, Unterricht wird ruhiger, die Konzentrationsfähigkeit steigt und das Miteinander im Klassenverband wird gestärkt. Dies gilt umso mehr in Bremen, wo die Schulen besonders vor großen sozialen Herausforderungen stehen. Hier braucht es eindeutige Schutzmaßnahmen, die allen Schüler*innen gleichermaßen zugutekommen.
Mit dem ab August 2025 in der Stadtgemeinde Bremen geltenden Erlass Nr. 001/2025 zur Regelung der Handynutzung in der Schule bis einschließlich Jahrgang 10, welcher den Schülerinnen und Schülern die private Nutzung insbesondere von Smartphones in der Unterrichtszeit untersagt, hat die Senatorin für Kinder und Bildung einen wichtigen Schritt getan, um Lernen und Schulgemeinschaft von digitaler Dauerablenkung zu entlasten. Zugleich erspart das Verbot den Schulen die wiederkehrende Rechtfertigung ihrer Vorschriften gegenüber Schüler*innen und Eltern. Es muss daher konsequent umgesetzt werden. Nur eine landesweit einheitliche Regelung schafft insofern Klarheit und Akzeptanz. Wenn die Regelung in Bremerhaven nicht gilt, entsteht ein Flickenteppich unterschiedlicher Regeln, der die Legitimität der Maßnahme schwächt und ihre Akzeptanz bei Eltern, Schüler*innen und Lehrkräften untergräbt. Daher ist es notwendig, dass für Bremerhaven eine verbindliche Regelung geschaffen wird, die gleiche Standards gewährleistet.
Darüber hinaus ist eine regelmäßige wissenschaftlich begleitete, systematische Evaluation erforderlich, um Wirksamkeit und Akzeptanz zu sichern, damit bei Bedarf gezielte Anpassungen vorgenommen werden können, denn Schulentwicklung darf nicht statisch bleiben. Nach spätestens zwölf Monaten ist das Verbot deshalb einer ersten verpflichtenden Evaluation zu unterziehen, mit der klaren Maßgabe, ergebnisoffen zu prüfen, ob schulische Eigenlösungen im Rahmen demokratischer Prozesse verantwortungsvoll ermöglicht werden können. In diesem Fall müssen Schulen die Möglichkeit erhalten, im Rahmen eines demokratischen Beteiligungsprozesses eigene Konzepte zu entwickeln. Diese müssen von Schüler*innen, Eltern, Kollegien und Schulleitungen gemeinsam getragen werden und verbindliche Schutz- und Präventionsmaßnahmen beinhalten, wie z.B. klare Nutzungsregeln, „No- Phone- Zones“, Maßnahmen zur Prävention von Cybermobbing oder Datenschutzvereinbarungen. Auf diese Weise werden Schutzmaßnahmen gegen die Risiken digitaler Medien mit einer schrittweisen Stärkung demokratischer Schulkultur verknüpft, sodass Mitbestimmung konkret erlebbar wird, die Schüler*innen lernen, Verantwortung zu übernehmen, und demokratische Kompetenzen praktisch eingeübt werden. Eine verpflichtende Evaluation nach spätestens zwölf Monaten stellt sicher, dass die vereinbarten Konzepte wirken und bei Bedarf angepasst oder verworfen werden können.
III.
Neben den im schulischen Kontext zu treffenden, braucht es aber auch flankierende Maßnahmen, die nicht allein auf Landesebene gelöst werden können. Dabei ist uns bewusst, dass soziale Medien inzwischen einen erheblichen Teil des Lebensalltags von Kindern und Jugendlichen prägen. Umso wichtiger ist es, ihre Chancen klar zu benennen, ihre Risiken sichtbar zu machen und Regeln zu schaffen, die Schutz und Teilhabe gleichermaßen gewährleisten. Wir setzen uns für ein verbindliches Mindestalter von 15 Jahren für die Nutzung Sozialer Medien ein. Ebenso sind suchtverstärkende und manipulative Designmechanismen („Dark Patterns“), wie Autoplay, endloses Scrollen oder manipulative Push- Benachrichtigungen regulatorisch einzuschränken, da sie Kinder und Jugendliche besonders anfällig für die übermäßige Nutzung machen. Dies zeigt sich auch daran, dass viele Jugendliche selbst in Befragungen angeben, eine längere Bildschirmzeit zu haben, als ihnen lieb ist, selbst aber nicht in der Lage sind, sich einzuschränken. Sie brauchen deshalb gezielte Unterstützung durch klare Regulierungen. Zugleich ist klarzustellen, dass Anbieter weiterhin selbst in der Pflicht bleiben, ihre Plattformen konsequent von jugendgefährdenden Inhalten wie pornografischen oder extremistischen Darstellungen freizuhalten und dafür wirksame Schutzmechanismen einzusetzen.
IV.
Parallel dazu muss die pädagogische Arbeit gestärkt werden. Medienkompetenz darf nicht vom Engagement Einzelner abhängen, sondern muss verbindlich in allen Schularten und Jahrgängen verankert werden. Lehrkräfte brauchen hierfür gezielte Unterstützung, um digitale Medien bewusst und pädagogisch sinnvoll einzusetzen. Ein zentraler Bestandteil dieser Aufgabe ist es, nicht nur Regeln zum Schutz vor Risiken festzulegen, sondern auch sichere digitale Lernräume zu gestalten – etwa über schulinterne Plattformen oder pädagogisch betreute Kommunikationskanäle. Auf diese Weise lernen Kinder und Jugendliche, sich in diesen Räumen verantwortungsvoll und reflektiert zu bewegen – und können digitale Medien nicht nur sicher, sondern auch konstruktiv für ihr eigenes Lernen und ihre Teilhabe nutzen. Die Maßnahmen müssen die Möglichkeit junger Menschen für digitale Teilhabe wahren und eine gerechte Lastenteilung sichern.
V.
Vor allem die skandinavischen Staaten haben in den letzten Jahren als Vorreiter wertvolle Erfahrungen mit der Digitalisierung von Schulen gesammelt. Sie sind inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass eine reine Fokussierung auf Technik in die Irre führt. Ihre korrigierte Strategie setzt nun auf die gezielte Verbindung digitaler Werkzeuge mit analogen Lernmethoden (z.B. das Lesen erlernt sich besser mit Büchern!). Diese Erfahrungen sollte auch Bremen zur Kenntnis nehmen und von ihnen lernen. So kann die Digitalstrategie praxisnah weiterentwickelt werden – weg von einzelnen Projekten, hin zu einem kohärenten Konzept, das digitale Chancen nutzt und gleichzeitig die Bedeutung analoger Lernformen stärkt. Das steigert die Bildungsqualität und macht Bremen und Bremerhaven zukunftsfähig im Umgang mit Digitalisierung.
VI.
Neben diesen internationalen Erfahrungen erfordert die rasante Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) im Bildungsbereich eine offene und kritische Auseinandersetzung. KI kann zweifellos erhebliche Vorteile bringen – von der Entlastung bei Verwaltungsaufgaben bis hin zu individuell zugeschnittenen Lernangeboten. Zugleich birgt sie aber auch erhebliche Risiken: Abhängigkeit von Konzernen, Fragen des Datenschutzes, die Gefahr der Überwachung und nicht zuletzt die Gefahr einer Verflachung von Lernprozessen, also die Gefahr, das „Denken nicht zu lernen“. Problematisch ist, dass bislang weder ein ausreichender Überblick noch klare Vorgaben existieren. Die Bildungsbehörde hat selbst eingeräumt, nicht genau zu wissen, welche Tools an Bremer Schulen bereits genutzt werden; der angekündigte Leitfaden steht weiterhin aus. Es braucht daher klare
Rahmenbedingungen, die Rechtssicherheit für Lehrkräfte schaffen und zugleich den Schutz von Kindern und Jugendlichen gewährleisten.
Vor diesem Hintergrund ist auch das bundesweite Projekt AIS (Adaptives Intelligentes System) zu sehen, das derzeit unter Federführung der Freien und Hansestadt Hamburg und organisatorischer Umsetzung durch das FWU (Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht) mit Mitteln des Digitalpaktes entwickelt wird. AIS soll eine KI- gestützte Lernumgebung bereitstellen, die Lernprozesse individuell anpasst und Lehrkräfte bei Diagnose und Förderung unterstützt. Bremen sollte diesen Prozess aktiv begleiten und sich frühzeitig in Pilotierung und Evaluation einbringen, um Chancen für passgenaue Förderung frühzeitig zu erschließen.
Darüber hinaus müssen die pädagogischen Folgen stärker in den Blick genommen werden: Was bedeutet es, wenn Lernprozesse zunehmend durch automatisierte Lösungen ersetzt werden? Welche Fähigkeiten drohen zu verkümmern, wenn Erfahrungswissen, Intuition oder Empathie in den Hintergrund treten? Und welche Rolle sollen klassische Prüfungsformate in einer von KI geprägten Schullandschaft künftig noch spielen? Solche Fragen müssen frühzeitig öffentlich diskutiert und dann in konkrete schulische Praxis übersetzt werden. Nur so können Chancen verantwortungsvoll genutzt und Risiken wirksam eingedämmt werden.
Deshalb fordern wir:
1. Die bestehende Regelung der Handynutzung in der Schule, die ab August 2025 durch Erlass der Senatorin für Kinder und Bildung für die Stadtgemeinde Bremen bis einschließlich Jahrgang 10 gilt, konsequent umzusetzen und auf Bremerhaven auszuweiten, um landesweit gleiche Standards zu sichern.
2. Die Auswirkungen der Regelung nach Ablauf von zwölf Monaten und sodann regelmäßig systematisch zu evaluieren. Die erste Evaluation muss dabei ausdrücklich ergebnisoffen prüfen, ob und in welchem Rahmen eine Öffnung des Verbots zugunsten demokratisch gefasster schulischer Lösungen sinnvoll und verantwortbar ist. Schulen sollen dann die Möglichkeit erhalten, im Rahmen eines demokratischen Beteiligungsprozesses alternative Schutz- und Präventionskonzepte zum Umgang mit Smartphones zu entwickeln. Diese Konzepte sind spätestens nach zwölf Monaten zu evaluieren und ggf. anzupassen.
3. Auf Bundes- und EU-Ebene ein verbindliches Mindestalter von 15 Jahren für die Nutzung Sozialer Medien einzuführen. Zugleich sind suchtverstärkende und manipulative Designmechanismen („Dark Patterns“), wie Autoplay, endloses Scrollen oder manipulative Push-Benachrichtigungen, regulatorisch einzuschränken.
4. Medienkompetenz systematisch und verpflichtend in allen Schularten und Jahrgängen zu verankern. Lehrkräfte sind hierfür durch gezielte Fortbildungen zu unterstützen und durch geeignete Maßnahmen zu entlasten, da sie bereits heute an der Grenze der Belastbarkeit arbeiten. Außerdem sollen bestehende Medienkompetenzangebote für Schüler*innen und Lehrkräfte, wie etwa von der Landesmedienanstalt, Radio Bremen, dem Landesinstitut für Schule und anderer Akteure offensiver beworben werden.
5. Chancen und Risiken des zunehmenden Einsatzes von Künstlicher Intelligenz (KI) in Schulen transparent in einer öffentlichen Debatte zu diskutieren und durch wissenschaftliche Begleitforschung abzusichern. Bremen soll sich zudem aktiv an der Entwicklung und Erprobung von Projekten wie dem bundesweiten „Adaptiven Intelligenten System“ (AIS) beteiligen und dabei klare Kriterien für Datenschutz, Transparenz und pädagogische Verantwortung einfordern.
6. Internationale Strategien systematisch zu evaluieren (z. B. skandinavische Ansätze) und bewährte Elemente, insbesondere eine ausgewogene Verzahnung digitaler und analoger Lehr- und Lernmethoden, in Bremen zu implementieren.