Vergesellschaftung der ArcelorMittal-Stahlwerke Bremen

Die ArcelorMittal-Stahlwerke Bremen sollten mit staatlicher Förderung klimaneutral werden – der Konzern hat sich allerdings im Juni dagegen entschieden. Aus zwei Gründen ist das ein überaus relevantes Thema für uns: Zum einen machen die CO2-Emissionen der Stahlwerke etwa die Hälfte von denen des Landes Bremen aus, zum anderen scheinen die Stahlwerke mit oder ohne Umrüstung nicht mehr langfristig wettbewerbsfähig zu sein. Im Falle einer Schließung könnten einige Tausend Arbeitsplätze verloren gehen. Da das Unternehmen bisher keine fertigen Lösungen geboten hat, richtet sich unsere Forderung an die Landes- bzw. Bundesregierung, um die Stahlwerke jetzt zukunftssicher zu machen.

2024 wurde angekündigt, dass die Bundesregierung eine Umrüstung der Stahlwerke von Kohle auf Wasserstoff als Energieträger fördern würde. Im Juni 2025 entschied der Konzern allerdings aus finanziellen Gründen, diesen Umbau nicht vorzunehmen und sagte aus, dass das Stahlwerk mit oder ohne Umbau kaum langfristig wettbewerbsfähig bleiben könnte. Dabei wurden als Probleme hohe Preise für Strom und Wasserstoff sowie die unzureichende Verfügbarkeit des letzteren genannt.

Ohne den klimaneutralen Umbau des Stahlwerks, welches einen so großen Teil der CO2- Emissionen des Landes ausmacht, scheint das Ziel der Klimaneutralität bis 2038 schwer vorstellbar. Außerdem hängen laut Aussage des Unternehmens bundesweit etwa 19.000 Stellen ab – Eine nach dem aktuellen Kurs schwer vermeidbare Schließung hätte also einen direkt negativen Einfluss auf die Leben vieler Menschen. Damit bedeutet die Nicht-Umsetzung des Umbaus zur emissionsneutralen Stahlproduktion auch eine Gefahr für die Akzeptanz von emissionsmindernden Maßnahmen. Die aktuelle Prognose eines Temperaturanstiegs von 2,8°C bis zum Ende des Jahrhunderts macht entschiedenes Handeln jedoch umso wichtiger. Seit Beginn des Monats ist bekannt, dass die EU-Kommission die Einfuhrzölle auf Stahl EU-weit deutlich erhöhen will. Dies würde die Wettbewerbsfähigkeit der Stahlwerke sicherlich erhöhen, ihre langfristige Sicherheit ist allerdings fraglich – und über den Plan zur Klimaneutralität hat ArcelorMittal keine weiteren Aussagen getroffen.

Das Stahlwerk ist ein Herzstück der deutschen und europäischen Wirtschaft:

Für das Klima

Über Bremen hinaus ist die grüne Transformation der Stahlproduktion als Schlüsselindustrie  zentral für die Emissionsneutralität der gesamten europäischen Wirtschaft: Die Automobilindustrie, Maschinenbau, Elektrotechnik, Metallverarbeitung oder das Bauhauptgewerbe sind allesamt auf emissionsfreien Stahl angewiesen. Die Prozesse der Stahlherstellung sind angewiesen auf grünen Wasserstoff, von dem bis 2030 bei erfolgreicher Umstellung bis zu 850.000 Tonnen benötigt werden. Zeit für den Umbau ist jetzt: Die an deutschen Standorten existierenden Koks-Hochöfen erreichen laut einer Studie der Universität Mannheim bis 2035 das Ende ihrer technischen Lebensdauer und müssen ersetzt werden. Pilotprojekte zeigen aber, dass die Transformation gelingen kann – wenn sie politisch stabile Rückendeckung hat. Die Lage an allen Standorten ist derzeit extrem angespannt, Beschäftigte bangen um ihre Zukunft, die nur mit grüner Transformation der Branche gelingen kann.

Für gute Arbeit

Deutschland ist – trotz erneutem Umsatzrückgang – größter Stahlproduzent der EU und siebtgrößter weltweit. In Deutschland arbeiten etwa 4 Millionen Menschen in stahlintensiven Branchen und rund 80.000 direkt in der Stahlindustrie.

Dabei sind 42 Prozent der Beschäftigten in der Stahlindustrie über 50 Jahre alt. Hier anzunehmen, dass man bei einem drohenden Verlust der Arbeitsplätze einfach auf Umschulungen für neue Jobs setzen könnte, wäre naiv. Gelingt uns die Transformation und Standortsicherung nicht, wird ein großer Teil der Betroffenen den Arbeitsplatz verlieren und hier nicht wieder gleichwertige Arbeit finden. In einer Lage in der schon jetzt jeden Monat 10.000 Industriearbeitsplätze deutschlandweit abgebaut werden, können wir uns das nicht leisten.

Vermeintlich zu hohe Löhne sind in dieser Industriekrise im Übrigen nicht das Problem: Seit 2000 nehmen die Lohnstückkosten deutlich weniger zu als in anderen EU-Ländern und Deutschland ist und bleibt eines der produktivsten Länder. Die wahren Probleme liegen insbesondere im Bereich der Energiepreise, dem internationalem Marktumfeld und massivem Investitionsstau. Hier gilt es anzusetzen.

Für die Resilienz unseres Landes

China setzt europäische Märkte mit hochsubventionierten Produkten und Überkapazitäten massiv unter Druck und setzt auf Markteroberung durch Preisverfall. Sich in einem solchen Kernbereich von vermeintlich billigeren Importen aus dem Ausland wie z.B. China abhängig zu machen, wäre ein riesiger Fehler: Wenn aufgrund von geopolitischen Konflikten oder Lieferkettenproblemen große Stahlexporteure ihre Ausfuhren nach Europa drosseln würden, könnte der entstehende Stahlschock uns jährlich bis zu 50 Milliarden Euro kosten. Etwa zur Hälfte wegen steigender Produktionskosten und zur Hälfte durch die in Folge der Krise einbrechende Binnennachfrage privater Haushalte.

Wir stehen mit vollem Einsatz dafür: Stahl ist Zukunft!

Für die Transformation des hiesigen Stahlwerks durch die Errichtung einer Direkt-Reduktions-Anlage haben wir über 250 Millionen Euro an Landesmitteln zugesagt, damit Bremen in die klimaneutrale Produktion einsteigen kann und uns erfolgreich für die zusätzlichen 800 Millionen Euro vom Bund eingesetzt. Wir haben dafür gesorgt, dass mit der Anbindung Bremens an das Wasserstoff-Kernnetz auch die Voraussetzung dafür geschaffen wird, dass hier klimaneutraler Stahl produziert werden kann. Mit der
Entscheidung von ArcelorMittal Europe, europaweit nicht in DRI-Anlagen zu investieren, ist dieser Förderansatz leider hinfällig. Jedoch ist die Entscheidung über eine Investition in Elektro-Lichtbogenöfen noch offen. Um diese Chance zur Sicherung des Standorts und eines Großteils der Beschäftigten zu nutzen, gilt es die finanziellen und regulatorischen Voraussetzungen zu schaffen.

Aber als Land alleine haben wir nur begrenzte Hebel und mit Blick auf die Bundesebene zeigt sich: Die bisherigen Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus, um den Standort, gute Jobs und Klimaschutz abzusichern:

Der Stahlgipfel der Bundesregierung muss Startpunkt sein, um die dringend notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Eine Verschleppung der Transformation, wie beim Autogipfel, darf nicht das Ergebnis sein.

Wir Grüne setzen uns auf allen Ebenen ein für:

  1.  Handelsschutz für die Stahlindustrie:

Angesichts der chinesischen Dumping-Konkurrenz braucht es gezielte handelspolitische Maßnahmen, um die heimische Stahlproduktion und die Arbeitsplätze in Deutschland und Europa zu sichern. Dafür bieten sich die von der EU eingeführten Schutzklauselmaßnahmen (Safeguards) an. Sie zielen darauf ab, die Industrie in Zeiten plötzlich ansteigender Importe vor Schäden zu bewahren. Aber auch andere Instrumente wie z.B. Antidumpingzölle müssen geprüft werden.

  1.  Industriestrompreis umsetzen:

Die hohen Stromkosten belasten die Stahlindustrie und andere energieintensive Branchen stark. Es ist dringend notwendig, den Industriestrompreis von 5 ct/kWh inklusive aller Nebenkosten schnell einzuführen, um Wettbewerbsfähigkeit und Investitionen zu sichern. Ziel ist es, Investitionen in grüne Technologie durch verlässliche und langfristige Planungssicherheit bei den Stromkosten zu fördern. Dafür braucht es auch einen langfristigen Industriestrompreis. Vorbild ist hier Frankreich, die das schon seit Jahren ermöglichen. Die von der Bundesregierung und der EU-Kommission vorgesehene Laufzeit von drei Jahren reicht nicht aus, um ausreichende Sicherheit für Investitionen zu schaffen.

  1.  Erneuerbare Energien ausbauen und Wasserstoffoffensive anschieben:

Der Ausbau erneuerbarer Energien, moderner Stromnetze, flexibler Kraftwerke und einer leistungsfähigen Wasserstoffinfrastruktur muss massiv beschleunigt werden. Ohne entschlossenes Handeln werden die Energiekosten nicht nachhaltig sinken. Das Energiewende-Monitoring darf nicht als Vorwand genutzt werden, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu bremsen. Von der Bundesregierung angekündigte Kürzungen bei der Förderung von Wasserstoffmaßnahmen gefährden die grüne industrielle Transformation.

  1.  Öffentliche Aufträge und Zuschüsse bei fairer Arbeit und
     Standortgarantie:

Die drastischen Kürzungen insbesondere im Haushaltstitel „Dekarbonisierung der Industrie“ sind fahrlässig. Wir fordern eine angemessene Finanzierung bestehender Programme wie das Bundesförderprogramm Industrie & Klimaschutz mindestens im bisherigen Umfang und den Ausbau des Förderinstruments der Klimaschutzverträge.

Auch ein nationales Sonderprogramm Stahl mit gezieltem Standortbezug kann aufgelegt werden, muss dann aber an Standortgarantien, faire Arbeitsbedingungen nach Tarif und Mitbestimmung geknüpft sein, um tatsächlich Beschäftigung zu sichern. Es darf kein Cent an Unternehmen fließen, die anschließend Beschäftigung abbauen. Negative Beispiele aus der Stahlindustrie zeigen die Dringlichkeit: So erhielt Thyssenkrupp Steel 2023 einen milliardenschweren Förderbescheid für Dekarbonisierung und hat kurz danach Stellenabbau angekündigt.

  1.  Die eigene Marktmacht nutzen:

Die Mittel aus dem Sondervermögen bieten die Chance, eine leistungsfähige Infrastruktur aufzubauen und gleichzeitig einen grünen Leitmarkt für europäischen Stahl zu etablieren. Damit der sich am Markt schneller durchsetzen kann und deutsche Stahlhersteller vom Sondervermögen des Bundes profitieren, braucht es eine klare Nachfragepolitik. Dazu sind Vergabe- / Quotenregelungen über Anpassungen im Vergabebeschleunigungsgesetz ein zentraler Hebel. Eine europäische Local-Content-Regelung ist ebenfalls zu begrüßen, wird aber nur Wirkung entfalten, wenn sie schnell umgesetzt wird.

  1.  Wertschöpfungsketten neu denken:

Branchenexpert*innen sehen hinter der aktuellen Krise der europäischen Stahlstandorte eine komplexe Neuordnung der globalen Stahlproduktion. Vorprodukte wie Eisenschwamm lassen sich in rohstoffreichen Drittstaaten zu deutlich günstigeren Energiepreisen klimaneutral produzieren und nach Europa importieren. Europäische Hersteller werden aufgrund ihrer Kompetenzen auch künftig in der Veredelung gefragt sein. Durch eine solche Neugestaltung der globalen Arbeitsteilung könnte ein Großteil der Beschäftigung auch an unserem Standort gesichert werden. Voraussetzung ist, dass Investitionen in Elektro Lichtbogenöfen kommen, um in Europa – und damit auch in Bremen – klimaneutral produzieren zu können. Die Förderung und schnellstmögliche Umsetzung der Kreislaufwirtschaft für das vollständig wiederverwertbare Produkt Stahl reduziert den Ressourcenverbrauch und minimiert die Abhängigkeit von Importen.

  1.  Klimakrise ist Notlage:

Der Bremer Staatsgerichtshof hat in seinem jüngsten Urteil über die bremischen Haushalte festgehalten, dass die Klimakrise eine außergewöhnliche Notlage konstituiert, die der Staat, unter klaren haushaltsrechtlichen Voraussetzungen, mit kreditfinanzierten Maßnahmen begegnen darf. Auf das Stahlwerk entfällt rund die Hälfte der bremischen CO2-Emissionen. Eine Förderung der Dekarbonisierung ist aufgrund der hohen Investitionskosten aus regulären Haushaltsmitteln unseres Landes nicht zu stemmen. Vor dem Hintergrund des Gerichtsurteils sollte daher geprüft werden, unter welchen Voraussetzungen eine kreditfinanzierte Förderung von Investitionen in Elektro-Lichtbogenöfen möglich ist.

  1.  Staatliche Beteiligung:

Wir können es uns nicht leisten, ausschließlich auf technologische Innovation, Anreize und indirekte Hebel zu setzen oder auf vertröstende Aussagen der Unternehmensführung zu vertrauen. Wenn sich abzeichnet, dass die in den Punkten 1. – 7. genannten Maßnahmen nicht zur Sicherung von Standorten und Stahlproduktion als Schlüsselindustrie ausreichen und das Unternehmen sich gegen den Erhalt und die Dekarbonisierung des Bremer Stahlwerkes entscheidet, dann brauchen wir eine direkte staatliche Beteiligung – etwa über einen Transformationsfonds oder weitergehende Vergesellschaftung mit Mitteln des Bundes.