Ich meine…
… dass wir uns nicht mit der banalen Ausrede aufhalten dürfen, „wir konnten unsere gute Politik nur nicht gut kommunizieren, den Menschen nicht vermitteln“. Denn das kommt meist bei den Menschen so an: wir halten sie irgendwie für unfähig, unsere Wahrheiten aufzunehmen und zu begreifen. Das heißt umgekehrt natürlich nicht, dass wir unsere Kommunikation nicht verbessern könnten – so sprechen und vor allem zuhören, dass unser Respekt vor den Lebenswirklichkeiten anderer wahrnehmbar ist. Es geht um Politik.
Wir waren in den vergangenen vier Jahren (und um die geht es hier, wobei natürlich viele Dinge sich auch vorher entwickelt und vorbereitet haben) als Grüne in der Stadt als politische Kraft zu wenig präsent. Das hatte eine Reihe von Erscheinungsformen:
– Partei und Fraktion haben so gut wie keine Veranstaltungen, Anhörungen, andere Formen der Kontaktaufnahme organisiert, bis zum Wahlkampf, in dem Veranstaltungen (fast) nur mit der Bundesprominenz gemacht worden sind. Das Problem ist, dass
– Diskussionsveranstaltungen ausdrücklich wenig organisiert und kleingehalten wurden, weil „old fashioned“ („keiner geht hin, macht man heute nicht mehr“). Dabei konnte man vor allem bei der Linken beobachten, dass sie die ganze Zeit mit solchen Formaten in der Stadt präsent gewesen sind.
– Vor vier Jahren hatte die LMV einen Beschluss gefasst, in dem sie Senatsmitglieder und Fraktionäre aufgefordert hat, bewusst mit Gesprächsangeboten dorthin zu gehen, „wo es uns wehtut“. Das ist bis in den Wahlkampf hinein nicht gemacht worden. (Und ja, Corona hat alles schwierig gemacht, aber nicht die gesamte Zeit alles verhindert.)
– Im Wahlprogramm und Koalitionsvereinbarung hatten wir einen starken grünen Akzent auf Politik in den Stadtquartieren gesetzt. Daraus haben wir zu wenig gemacht; der einzige, der regelmäßig auch vor Ort präsent war, war Bovenschulte.
– Senatorinnen und Senator haben ihre Möglichkeiten, für die jeweilige Fachöffentlichkeiten Debatten zu organisieren, längst nicht ausgeschöpft. Sie sind auch nicht mit Initiativen in der Parteiöffentlichkeit, Anträgen für die LMV, aufgefallen.
– Die weitgehende Vernachlässigung der klassischen Instrumente von Anhörungen, Ratschlägen durch die Fraktion hat auch dazu beigetragen, dass unsere Verbindungen zu der Wissenschaftsszene in der Stadt immer dünner geworden sind.
Die grüne Spitze (Landesvorstand, Senatsmitglieder, Fraktion) war auch zu wenig als Team sichtbar, heißt: Wahrnehmung unterschiedlicher Aufgaben, aber abgestimmt und sich gegenseitig stützend. Im Wahlkampf erschien das dann eher als Vielstimmigkeit von Einzelkämpfern, nicht immer auf der Grundlage unseres Wahlprogramms.
In unserer Zuschreibung von Kernkompetenzen haben wir dramatisch verloren. Kernkompetenz schreiben die Menschen der politischen Kraft zu, die über längere Zeit hinweg öffentlich gezeigt hat, dass sie aktiv ist; von der Sache etwas versteht; einen langen Atem hat; Vorschläge macht, die im Alltag umsetzbar und deshalb mehrheitsfähig sind. Bei diesen Kompetenzzuschreibungen haben wir in unseren traditionellen Stärken Klima, Umwelt und Verkehr, verloren, weil wir die pragmatische Lösung zu oft dem in Wahrheit nur symbolischen Sofortismus geopfert haben.
Zentraler Fehler war die auch so erklärte „Politik gegen das Auto“, die natürlich in Wahrheit eine Politik gegen die Autofahrer*innen war und von sehr vielen auch genau so wahrgenommen wurde. Es gibt zu CO2-Schleudern bald immer mehr Alternativen, es gibt zum eigenen Auto überhaupt auch Alternativen. Aber das Umsteigen kann nicht erzwungen werden, zumal der Nah- und Fernverkehr gegenwärtig oft eher abschreckt (und das wird auch noch eine Weile so bleiben).
So dringlich tatsächlich der Kampf gegen die Klimakrise ist, es musste uns klar sein, was für ein träges Tier die Gesellschaft ist. So waren wir auf die Einwände und Widerstände nicht vorbereitet, die zwar meist von Unsicherheit und lieben Gewohnheiten ausgehen; die waren aber leicht politisch ausschlachtbar und haben am Ende für eine regelrechte Gegenbewegung ergeben.
Ähnlich dramatisch ist das weitgehende Fehlen eigener politischer Vorschläge neben anderem
– in der Schulpolitik; mit Ausnahme des Übergangs von KiTa zur Schule. Gerade hat eine weitere Studie festgestellt, wie dramatisch die Fähigkeit in den Grundfertigkeiten bei den Grundschülern weiter gesunken ist. Aber das zum Schwerpunkt zu machen ist offenbar an ideologischen Vorbehalten gescheitert. So sind die Grünen der SPD hinterhergedackelt, die ihr unglaubliches Versagen in der Bildungspolitik so weiter vertuschen konnte;
– in der Gesundheitspolitik – nur durch den weitgehenden Ausfall der grünen Stimme konnte die linke Gesundheitssenatorin so gut dastehen, die in der Neuordnung des Bremer Krankenhauswesens nicht einen einzigen Schritt vorwärtsgekommen ist;
– der Sicherheitspolitik im weitesten Sinne, die für die älteren Wähler*innen von ganz wesentlicher Bedeutung ist, nach all den Krisenjahren erst recht – ich habe jedenfalls nicht verstanden, welche Vorschläge die Grünen zur Sicherheit im öffentlichen Raum gemacht haben, die diese Unsicherheiten ernst genommen hätten.
Nach den Umfragen waren das aber die zentralen Themen und Probleme dieser Wahl.
Noch zwei Punkte zum Wahlkampf selbst.
Es hat sich ja inzwischen herumgesprochen, dass Landesvorstand und Maike im Vorfeld beschlossen hatten, mit dem Thema Verkehr „keinen Wahlkampf zu machen“. Das ist ungefähr so klug wie sich durch Augenverschließen unsichtbar zu machen. Tatsächlich ist man in der Politik leider nicht allein, gibt es noch andere, die dann eben mit dem Thema Wahlkampf machen, zu unserem Schaden. Und dann machen wir doch faktisch Wahlkampf mit dem Thema: Mit zwei dicken Baustellen genau in der Wahlkampfzeit (als „Arbeitsnachweis“ bewusst so getimt?), mit der Forderung nach Tempo 30 als Regel in der Stadt (statt der Forderung nach Landeskompetenz, um gezielt verbessern zu können), und natürlich mit der berühmten Brötchentaste.
Der zweite Punkt betrifft die mangelnde Reaktionsfähigkeit im Wahlkampf: zwei Plakate hätte man für Aktualität zunächst aufheben müssen; wenigstens zu den bald erkennbaren Hauptfragen hätten Argu-Hilfen tatsächlich geholfen. Dazu hätte in den letzten Tagen vor allem die Heizungsfrage gehört. Und in den letzten zwei Wochen wäre neues Material zum Verteilen gut gewesen, das taktische Überlegungen der Leute aufgreift: Was passiert, wenn ich das und das wähle? Und nicht noch am Tag vor der Wahl zu erklären, dass alles „nur mit dem Grünen“ gut wird.
Hermann Kuhn
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