Geflüchtete Menschen, die mit uns in Bremen leben, sind durch die Corona-Krise in besonderer Weise betroffen. Wir wissen, dass diese Menschen oftmals unter Traumatisierung und Vereinsamung leiden und sich – ebenso wie wir alle – große Sorgen um ihre Gesundheit, das Wohlergehen ihrer Familie und Freundinnen sowie grundsätzlich um ihre Lebensumstände machen. Das Leben in Gemeinschaftsunterkünften macht die Einhaltung der Vorgaben im Rahmen der Kontaktsperre zu einer besonderen Herausforderung. Uns ist bewusst, dass unter den Geflüchteten – insbesondere in der Landesaufnahmestelle – zurzeit große Verunsicherung herrscht.
Diese Verunsicherung hat in den vergangenen Tagen zu vereinzelten Protesten in der Landesaufnahmestelle – und bei anderen Bremerinnen und Bremern – geführt. Die Forderung nach einer Schließung der Landesaufnahmestelle wurde laut und eine dezentrale Unterbringung aller Menschen, die zurzeit dort leben, gefordert.
Wir wollen deshalb an dieser Stelle darlegen, warum eine Schließung der Landesaufnahmestelle jetzt, aber auch in einer Zeit nach Corona, für Bündnis 90/Die Grünen kein gangbarer Weg ist. Darüber hinaus informieren wir in diesem Papier über die bereits in den letzten Tagen und Wochen von den zuständigen Ressorts getroffenen Maßnahmen zum stärkeren Schutz der Betroffenen und über weitere geplante Schritte und Forderungen:
1. Familien und Kinder aus Griechenland nach Bremen holen
Bremen will sein Versprechen einhalten, Kinder und Familien aus den überfüllten Lagern in Griechenland zu evakuieren und nach Bremen zu holen. Die dortigen Zustände sind uns allen aus erschreckenden Medienberichten bekannt und es sind in Moria und anderen Lagern bereits erste Corona-Infektionen bekannt geworden. Wir möchten, dass Bremen schnellstmöglich ein Landesaufnahmeprogramm für in Griechenland festsitzende Geflüchtete auflegt und sich dabei mit anderen aufnahmewilligen Ländern wie Berlin abstimmt. Wir wollen, dass das Bundesinnenministerium solche Lösungen aktiv fördert und nicht verhindert.
Eine der Voraussetzungen für eine solche Aufnahme ist eine Landesaufnahmestelle, in der Geflüchtete registriert sowie medizinisch und psychologisch versorgt werden können. Gäbe es in Bremen keine Landesaufnahmestelle, könnte unser Bundesland keine geflüchteten Kinder und Familien aus Griechenland aufnehmen. Das wollen wir unter allen Umständen verhindern. Die aktuell genannte Zahl von 50 unbegleiteten Minderjährigen für ganz Deutschland halten wir aus humanitären Gründen für viel zu niedrig.
2. Gute Zusammenarbeit der Behörden sichern
In der Landesaufnahmestelle arbeiten das Sozialressort, das Amt für Soziale Dienste, das Gesundheitsamt und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gemeinsam, mit einem in der Arbeit mit Geflüchteten sehr erfahrenen Träger, unter einem Dach zusammen. Diese Zusammenarbeit hat große Vorteile und verkürzt den Zeitraum, bis Geflüchtete dezentral untergebracht werden können. Eine Zusammenarbeit dieser Art ist nur in einer Landesaufnahmestelle möglich. Für die Kapazität einer Landesaufnahmestelle mit einer Zweigstelle des BAMF ist eine Mindestgröße von 500 Plätzen vorgeschrieben. Wird diese Kapazität dauerhaft unterschritten, müssten Geflüchtete nach Niedersachsen reisen, um dort ihre Anträge auf Asyl zu stellen. Gerade in Zeiten von Corona halten wir solche Reisen für unnötig und gefährlich. Die gegenwärtige Situation rechtfertigt für uns eine geringere Belegung – aber keine Schließung, die auch die Anwesenheit des BAMF und des Gesundheitsamtes betreffen würde.
3. ‚Physical Distancing‘ ermöglichen
Die Landesaufnahmestelle hat eine Kapazität von bis zu 750 Plätzen. Vor der Corona-Krise waren 650 dieser Plätze belegt. Gegenwärtig leben noch etwa 450 Menschen in der Einrichtung in der Lindenstraße, und im Laufe dieser und der kommenden Woche wird es weitere Umzüge für bis zu 100 Personen geben. Diese Zahlen zeigen, wie sehr das Sozialressort aktiv daran arbeitet, die Anzahl von Bewohner*innen stetig zu verringern und so das bekannte „Physical Distancing“ unter den Bewohner*innen möglich zu machen. Das alles findet unter äußerst angespannten und schwierigen Umständen statt. In Bremen fehlt es weiterhin an bezahlbarem Wohnraum.
Wir – der Grüne Landesverband, die Landesarbeitsgemeinschaft „Migration“ und die Grüne Bürgerschaftsfraktion – fordern, in Zukunft die Belegung Schritt für Schritt so weit nach unten anzupassen, dass Menschen, die nicht zu einer Familie gehören, in ihren Zimmern und in den Gemeinschaftsräumen mindestens 2 Meter Abstand voneinander halten können. Ausgenommen davon sollen Familien und Lebensgemeinschaften bzw. Wohngemeinschaften sein, die gerne gemeinsam in einem Raum leben wollen.
4. Weitere unterstützende Maßnahmen einführen: WLAN und Beirat
Es soll WLAN in allen Bereichen der Aufnahmestelle verfügbar sein, um zu vermeiden, dass Menschen sich an bestimmten Orten versammeln müssen, um mit ihren Freund*innen und Verwandten in Kontakt zu treten.
Wir wollen die Bewohner*innen in der Lindenstraße unterstützen, in direkten Dialog mit den zuständigen Behörden zu treten und damit die Möglichkeit eröffnen, Probleme frühzeitiger als bisher erkennen und lösen zu können. Dafür regen wir die Gründung eines Bewohner*innen-Beirats an.
Selbstverständlich ist bereits jetzt, dass in Bremen jede ankommende geflüchtete Person auf das Corona-Virus getestet wird. Bis das Ergebnis vorliegt, werden alle neu Angekommenen zu ihrem Schutz und zum Schutz anderer isoliert.
5. Solidarisches Miteinander pflegen
Nicht zuletzt stellen wir uns aber auch vor die vielen Mitarbeiter*innen der AWO, des Gesundheitsamts, des Sozialressorts und der Wachdienste, die unter extrem erschwerten Bedingungen alles tun, um ein soziales und solidarisches Miteinander in der Stadt möglich zu machen. Wir wünschen uns in der Öffentlichkeit mehr Anerkennung für diese Arbeit. Es gibt Berichte über Bedrohungen und öffentliche Beleidigungen in Richtung der vielen freiwilligen und hauptamtlichen Helfer*innen an verschiedenen Stellen in der Stadt. Wir bringen hier unmissverständlich zum Ausdruck, dass wir solche aggressiven und destruktiven Äußerungen bzw. Handlungen ablehnen und verurteilen.
Es gibt in der Stadt sehr viele Menschen, denen wir gerade heute besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung zukommen lassen müssen. Dazu gehören Geflüchtete – aber auch Alleinerziehende, Obdachlose, Menschen mit sehr geringen Einkommen und alte Menschen. Um den Bedürfnissen, Ängsten und berechtigten Forderungen aller dieser Menschen gerecht werden zu können, wünschen wir uns einen konstruktiven Dialog mit allen demokratisch gesinnten Akteur*innen aus Politik, Verwaltung, Ehrenamt, Religionsgemeinschaften und Zivilgesellschaft.
Landesvorstand Bündnis 90/Die Grünen
Landesarbeitsgemeinschaft Migration
Fraktionsvorstand Bündnis 90/Die Grünen in der Bürgerschaft
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